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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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seine Ruhe zu stören; danach hatten wir wirklich kaum noch Luft.
    Als wir fertig waren, war die Leiche vollständig abgedeckt, und die meiste Zeit über würde Schnee unser Hügelgrab bedecken, und es würde aussehen wie eine kleine Erhebung unter tausenden. Also hatten wir es geschafft. »Sollten wir nicht etwas sagen?« fragte Freds. »Du weißt schon, ein Gebet oder so?«
    »He, Kunga ist der Tulku«, sagte ich. »Sag' ihm, er soll es machen.«
    Freds sprach mit Kunga. Auf seiner Schneebrille konnte ich kleine Abbilder von Kunga sehen, der wie ein Marsianer aussah. Seit Mallory hatte sich die Bergsteigerkleidung doch ziemlich verändert!
    Kunga Norbu stand am Ende unseres Grabes und steckte die in Fäustlingen steckenden Hände aus; er sprach eine Weile auf Tibetanisch.
    Danach übersetzte Freds seine Worte für mich. »Geist von Chomolungma, Mutter Göttin der Welt, wir sind hier, um die Leiche von George Leigh Mallory zu begraben, des ersten Menschen, der deine geheiligten Hänge erstieg. Er war ein Bergsteiger mit großem Mut, der niemals aufgab, und wir lieben ihn dafür – er zeigte uns sehr rein etwas, das wir alle in uns selbst schätzen. Ich möchte auch hinzufügen, daß aus seiner Kleidung und Ausrüstung ersichtlich wird, daß er ein kompletter Idiot war, überhaupt hier hinaufzusteigen, und möchte mich in besonderer Ehrfurcht auch vor dieser Eigenschaft verneigen. Und so stehen wir hier, drei Schüler deines heiligen Geistes, und ergreifen diesen Augenblick, um diesen Geist hier und in uns und überall auf der Welt zu ehren.« Kunga neigte den Kopf, und Freds und ich folgten seinem Beispiel und gedachten seiner schweigend; und wir hörten nur den Wind, der über die Mutter Göttin nach Tibet pfiff.

13

    Na schön. Wir hatten unsere Mission vollbracht, Mallory ruhte für alle Zeiten sicher auf dem Everest, wir hatten eine überraschend bewegende Andacht gehalten, und zumindest ich war sehr zufrieden. Doch als wir wieder im Lager waren, benahmen Freds und Kunga sich plötzlich sehr seltsam. Laure hatte das Zelt und unsere Rucksäcke ausgepackt und für uns zurückgelassen, und nun packten Freds und Kunga schnell alles wieder zusammen.
    Ich sagte etwas dahingehend, daß man von Mallorys letzter Ruhestätte doch eine hervorragende Aussicht habe, und Freds sah mich an und meinte: »Na ja, es gibt noch eine Aussicht, die ein klein wenig besser ist.« Und er fuhr damit fort, fieberhaft zu packen. »Ich wollte sowieso mal mit dir darüber sprechen«, sagte er dabei. »Ich meine, nun sind wir schon mal hier, oder? Ich meine, hier sind wir nun.«
    »Ja«, sagte ich. »Hier sind wir nun.«
    »Ich will damit sagen, hier sind wir fast auf achteinhalbtausend Metern auf dem Everest. Und wir haben erst Mittag, und es ist ein parfekter Tag. Ja, wirklich, ein absolut perfekter Tag. Man könnte sich keinen schöneren Tag vorstellen.«
    Ich begriff, worauf er hinauswollte. »Nichts da, Freds.«
    »Na, komm schon! Jetzt sei nur nicht vorschnell, George! Wir haben alle schweren Teile hinter uns, und von hier aus bis zum Gipfel ist es nur noch ein Spaziergang!«
    »Nein«, sagte ich entschlossen. »Wir haben keine Zeit. Und wir haben nicht genug Vorräte. Und wir können dem Wetter nicht vertrauen. Es ist zu gefährlich!«
    »Zu gefährlich! Die ganze Bergsteigerei ist zu gefährlich, George, aber mir ist noch nie aufgefallen, daß dich das schon mal gestört hat. Denk doch mal nach, Mann! Das ist kein gewöhnlicher Berg, das ist kein Rainier oder Denali, das ist der Everest. Sagarmatha! Chomolungma! Der große E! War es nicht schon immer dein geheimer Wunsch, den Everest zu besteigen?«
    »Naja … nein. Ist es nie gewesen.«
    »Ich glaube dir nicht! Meiner ist es ganz bestimmt, das kann ich dir flüstern! Und deiner ist es auch.«
    Die ganze Zeit über, während wir uns stritten, ignorierte Kunga Norbu uns, wühlte in seinem Rucksack und warf verschiedene überflüssige Gegenstände heraus.
    Freds setzte sich neben mich und zeigte mir den Inhalt seines Rucksacks. »Ich habe unsere Schlafsäcke, den Gaskocher, einen Topf, Suppe, Zitronenkonzentrat, genug Vorräte, und hier ist meine Schneeschaufel; wir können also überall unser Zelt aufschlagen. Alles, was wir brauchen.«
    »Nein.«
    »Sieh her, George.« Freds nahm seine Schneebrille ab und sah mir in die Augen. »Es war ja ganz nett, Mallory zu begraben und so, aber ich muß dir sagen, daß Kunga Lama und mich ein … hm … tieferliegender Grund hierher geführt

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