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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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verpaßt haben«, sagte Freds. »Wir trennen uns, marschieren auf den Seiten und sehen auf dem Rückweg in jedem Winkel und jeder kleinen Spalte nach.«
    Das taten wir dann auch; wir gingen sehr langsam und näherten uns dem Ende des Ringes, soweit wir es wagten.
    Wir waren etwa auf halber Strecke zur Hornbein-Schlucht zurückgekehrt, als Laure sie fand. Er rief, und wir liefen zu ihm.
    »Ich glaub, mein Schwein pfeift«, sagte Freds und glotzte erstaunt.
    Die Leiche steckte in einem Spalt, bis zur Brust in hartgefrorenem Schnee. Sie lag auf der Seite, so zusammengekauert, daß sie sich auf einer Ebene mit dem Fels auf beiden Seiten des Spaltes befand. Ihre Kleidung war durchgescheuert und verfaulte auf ihr; sie schien aus Strickwolle zu bestehen. Die Art, wie man sie beim Golf in Schottland trägt. Ihre Augen waren geschlossen, und unter einer zerfallenden Kapuze wirkte seine Haut papierdünn. Sechzig Jahre draußen in Sonne und Sturm, doch immer unter dem Gefrierpunkt, hatten ihn auf seltsame Art und Weise erhalten. Ich hatte das unheimliche Gefühl, daß er nur schlief und jeden Augenblick aufwachen und aufstehen würde.
    Freds kniete neben ihm und grub etwas im Schnee. »Seht mal – er ist angeseilt, aber das Seil ist gerissen.«
    Er hielt ein paar Zentimeter ausgefasertes Seil hoch – Naturfasern, schrecklich dünn. Ich erschauderte, als ich es sah. »So eine primitive Ausrüstung!« rief ich.
    Freds nickte kurz. »Die waren plemplem. Ich glaube nicht, daß er eine Sauerstofflasche dabeihat. Die gab's damals schon, aber er benutzte sie nicht gern.« Er schüttelte den Kopf. »Sie sind wahrscheinlich gleichzeitig gestürzt. Vielleicht durch eine Schneewächte gebrochen. Dann fielen sie hier runter, und der hier blieb im Spalt hängen, während der andere über den Rand stürzte und das Seil riß.«
    »Also liegt der andere unten im Gletscher«, sagte ich.
    Freds nickte langsam. »Und sieh mal …«Er deutete nach oben. »Wir sind fast direkt unter dem Gipfel. Also müssen sie es geschafft haben. Oder verdammt kurz vor dem Ziel abgestürzt sein.« Er schüttelte den Kopf. »Und sie haben nur so eine Jacke getragen! Erstaunlich!«
    »Also haben sie es geschafft«, flüsterte ich.
    »Sieht jedenfalls so aus. Also … wer von den beiden ist das?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Kann ich nicht sagen. Anfang Zwanzig oder Mitte Dreißig?«
    Unbehaglich betrachteten wir die mumifizierten Gesichtszüge.
    »Dreißig«, sagte Laure. »Nicht jung.«
    Freds nickte. »Meine ich auch.«
    »Dann ist es Mallory«, sagte ich.
    »Hm.« Freds stand auf und trat zurück. »Das wäre es dann wohl. Das Geheimnis ist gelöst.« Er sah uns an und sprach kurz mit Kunga Norbu. »Er muß die meisten Jahre unter Schnee gelegen haben. Aber verstecken wir ihn den Briten zuliebe unter Felsen.«
    Das war leichter gesagt als getan. Da er in der Spalte steckte, mußten wir nur ein paar Steine über ihn legen. Doch wir fanden schnell heraus, daß es hier kaum irgendwelche losen Steine gab; der Wind hatte sie hinabgerollt. Also mußten wir paarweise arbeiten und und große flache Platten heranschaffen, die schwer genug waren, um gegen den Wind bestehen zu können.
    Diese sammelten wir noch immer, als Freds plötzlich nach hinten deutete und sich auf zutageliegenden Fels des Rings setzte. »He, die Briten sind über uns auf dem Westgrat! Sie sind fast auf gleicher Höhe mit uns!«
    »Arnold kann nicht weit zurück sein«, sagte ich.
    »Wir haben hier noch eine Stunde zu tun«, rief Freds. »He, Laure, hör zu – geh zu unserem Lager zurück und pack unsere Sachen. Und dann gehst du den Briten entgegen und sagst ihnen, sie sollen langsamer werden. Verstanden?«
    »Langsamerwerden«, wiederholte Laure.
    »Genau. Erkläre ihnen, daß wir Mallory gefunden haben und sie diese Gegend meiden sollen. Verschaffe uns Zeit. Du bleibst bei ihnen und steigst mit ihnen hinab. George und Kunga und ich folgen euch dann, und wir treffen euch bei Gorak Shep.«
    Gorak Shep? Das schien tiefer zu liegen, als es nötig war.
    Laurenickte. »Langsamerwerden, hinabsteigen, wirtreffen euch bei Gorak Shep.«
    »Du hast's kapiert, Kumpel. Wir sehen euch dann da unten.«
    Laure nickte und ging los.
    »Also schön«, sagte Freds. »Decken wir den Burschen zu.«
    Wir errichteten eine kleine Mauer um ihn und legten dann die größte Platte von allen als Grabstein über seinen Kopf. Nur zu dritt konnten wir sie hochheben, und wir taumelten herum, um sie in Position zu bringen, ohne

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