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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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fast nicht schaffte. Meine Hände hinterließen rosafarbene Nachbilder in der Luft, und ich zischte und stöhnte bei jedem Zug an den Riemen. Als ich fertig war und aufstand, wäre ich beinahe umgekippt. Die Felsen verschwammen vor mir, und selbst mit der Brille war der Schnee schmerzhaft weiß.
    »Das letzte Stück«, sagte Freds, als wir den Berg hinaufsahen. Wir machten uns auf den Weg, und die Steigeisen drangen tief in festen Schnee ein. Kunga legte ein unglaubliches Tempo vor. Freds und ich marschierten Seite an Seite im Gleichschritt, um besser mit der geistigen Anstrengung fertig zu werden.
    Freds wollte sprechen, obwohl er keine Atemluft zu verschwenden hatte. »Der alte Dorjee Lama. Wird ziemlich. Überrascht sein. Wenn sie Kum-Bum. Wieder aufbauen. Ha!«
    Ich nickte, als glaubte ich die ganze Geschichte. Das war eine Übertreibung, doch es spielte keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle, abgesehen davon, in blendend weißem Schnee einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Ich habe gelesen, daß sich der Everest genau an der Grenze des Machbaren befindet, was das Bergsteigen ohne Sauerstoffflaschen betrifft. Das wissenschaftliche Team, das nach einer Besteigung, bei der Luft- und Atemproben genommen wurde, zu dieser Schlußfolgerung gelangte, hat sogar erklärt, theoretisch sei es überhaupt nicht möglich. Aber theoretisch kann eine Hummel auch nicht fliegen. Ein Wissenschaftler stellte die Theorie auf, daß es wirklich nicht möglich sei, wenn der Everest auch nur hundert Meter höher wäre.
    Ich glaube ihr. Mit Sicherheit waren die letzten paar Schritte diese Schneepyramide hinauf die schwersten, die ich jemals getan habe. Meine Brust hob und senkte sich mit sinnlosen Atemzügen, und ich konnte hören, wie die Gehirnzellen zu Tausenden zersprangen, knack, knister, plop. Wir näherten uns dem Gipfel, einer dreieckigen Kuppel aus reinem Schnee; doch ich mußte langsamer gehen.
    Kunga war uns vorausgeeilt und hatte auf den letzten Metern noch an Geschwindigkeit zugelegt. Als ich auf den Schnee hinabblickte, verlor ich ihn aus den Augen. Dann kamen seine Stiefel in mein Blickfeld, und ich begriff, daß wir es fast geschafft hatten, nur noch ein paar Schritte unter dem höchsten Punkt waren.
    Der eigentliche Gipfel war eine zerklüftete Schneekuppe von etwa zweieinhalb Metern Länge und einem Meter Breite. Es war keine Berg, aber auch keine breite Hügelspitze; man hätte darauf kein kleines Tänzchen abhalten wollen.
    »Tja«, sagte ich. »Da sind wir.« Irgendwie konnte ich mich nicht darüber begeistern. »Zu schade, daß ich keine Kamera mitgenommen habe.« In Wirklichkeit empfand ich gar nichts.
    Neben mir rührte sich Freds. Er schlug mir auf den Arm und deutete zu Kunga Norbu hinauf. Wir waren noch unter ihm; unsere Köpfe befanden sich etwa auf gleicher Höhe wie seine Stiefel. Er summte und hatte die Arme ausgestreckt und gehoben, als dirigiere er im Osten ein Symphonieorchester. Ich sah in diese Richtung. Mittlerweile war es Spätnachmittag, und der Schatten des Everest dehnte sich bis zum Horizont und sogar darüber hinaus aus. Im Osten müssen Eispartikel in der Luft gehangen haben, denn plötzlich sah ich über dem Dunkel des Everest-Schattens einen großen Eisbogen. Es war fast ein vollständiger Farbkreis, viel durchsichtiger als ein Regenbogen und am unteren Ende vom dreieckigen Schatten des Berges abgeschnitten.
    In diesem schwach gefärbten runden Bogen, über der dunklen Luft des Schattengipfels, befand sich ein von Licht umgebenes Schattenkreuz. Es war ein Brockengespenst-Phänomen, verursacht durch niedrigstehendes Sonnenlicht, das die Schatten von Gipfeln und Bergsteigern auf feuchte Luft wirft und ein helles Halo um sie herum entstehen läßt. Ich hatte schon mal eins gesehen.
    Dann breitete Kunga Norbu ruckartig die Hände aus, und die ganze Vision verschwand augenblicklich.
    »Mann«, sagte ich.
    »Allerdings«, murmelte Freds und führte mich die letzten qualvollen Schritte auf den Gipfel selbst hinauf, so daß wir neben Kunga Norbu standen. Er hatte den Kopf zurückgelegt, und auf seinem Gesicht stand ein Lächeln aus reiner, kindlicher Freude.
    Ich weiß nicht mehr, was wirklich dort oben geschah. Vielleicht wurde ich ohnmächtig und sah eine Sekunde lang Farben, dachte, es sei ein Eisbogen gewesen, und dann blinzelte ich und sah wieder klar. Aber ich weiß, daß ich in diesem Augenblick, als ich Kunga Norbus entrücktes Gesicht betrachtete, sicher war, daß er seine Freiheit

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