Flucht aus Katmandu
Freds. »Und ein ganz großes Problem ist«, rief ich, »daß wir keinen Sauerstoff haben.«
»Heutzutage wird er ständig ohne Sauerstoff bestiegen.«
»Ja, aber man muß teuer dafür bezahlen. Man bekommt da oben nicht genug Sauerstoff, und es sterben unglaublich viele Gehirnzellen ab! Wenn wir da raufgehen, werden wir bestimmt Millionen von Gehirnzellen verlieren!«
»Na und?« Er sah die Berechtigung des Einwandes nicht ein.
Ich stöhnte auf. Wir stiegen weiterhin den Hang hinauf.
14
Und so kam es, daß ich mit einem tibetanischen Tulku und einem Verrückten aus Arkansas den Mount Everest bestieg. Ein vernünftiger Mensch hätte bei so einem Unternehmen niemals mitgemacht, und als ich hinter Freds und Kunga hertrottete, konnte ich in der Tat kaum glauben, daß es geschah. Aber ein jeder qualvolle Atemzug überzeugte mich vom Gegenteil. Und da es sich nun einmal nicht ändern ließ, kam ich zum Schluß, daß es angebracht sei, mich in den richtige Geisteszustand dafür zu bringen; sonst würde es nur um so gefährlicher sein. »Ich wollte das schon immer tun«, sagte ich und verbannte den übermächtigen Eindruck, dazu hypnotisiert worden zu sein, aus meinen Gedanken. »Wir besteigen den Everest, und das wollte ich schon immer mal.«
»Das ist die richtige Einstellung«, sagte Freds.
Ich ignorierte ihn und dachte weiterhin bei jedem zweiten Schritt: »Das wollte ich schon immer.« Nach ein paar hundert Schritten mußte ich mir eingestehen, daß ich mich halbwegs überzeugt hatte. Ich meine, der Everest! Denken Sie doch mal drüber nach! Wie jeder andere auch hatte ich wohl schon immer insgeheim diesen Wunsch verspürt.
Ich will Sie nicht mit den Einzelheiten unserer Route langweilen; wenn es Sie interessiert, können Sie sie in meinem anonymen Artikel im American Alpine Journal, Ausgabe 1987, nachlesen. In der Tat ging es ziemlich glatt; wir stiegen von der Hornbein-Schlucht quer zum oberen Westsattel auf und nahmen von dort aus den Gipfel in Angriff.
Ich tat dies in jeweils zehn Schritten auf einmal; die Höhe machte mir nun endgültig zu schaffen. Ich akklimatisiere mich so gut wie kaum ein anderer, den ich kenne, doch niemand akklimatisiert sich noch bei über achteinhalbtausend Metern Höhe. Es kommt schließlich nur noch darauf an, wie schnell man erschöpft ist.
»Versuche, so langsam wie nötig zu gehen, und vermeide Ruhepausen«, riet mir Freds.
»Ich gehe schon so langsam, wie ich kann.«
»Nein, tust du nicht. Versuche einfach, bergaufwärts zu schleichen. Leg wirklich den ersten Gang ein. Dann fällst du in einen ganz bestimmten Rhythmus.«
»Na schön. Ich versuch's.«
Wir hatten uns gerade gesetzt, um unsere Steigeisen abzunehmen, die nun überflüssig waren. Freds behielt recht, was den Schwierigkeitsgrad unserer Klettertour betraf. Der Grat war breit, nicht sehr steil und ziemlich aufgerissen, so daß überall unregelmäßige Felstreppen darauf lagen. Hätte er sich auf Meereshöhe befunden, hätte man ihn buchstäblich hinauf laufen können. Es war so einfach, daß ich Freds Vorschlag ausprobieren konnte, und ich folgte ihm und Kunga mit Zeitlupenbewegungen hinauf. Bei dieser Geschwindigkeit konnte ich etwa zehn oder fünfzehn Minuten gehen, bevor ich mich ausruhen mußte – wie lange genau, ließ sich nur schwer sagen, da mir jedes Intervall wie ein Nachmittag vorkam.
Doch bei jeder Rast waren wir ein Stück höher. Es ließ sich nicht abstreiten, daß man vom Westgrat eine erstklassige Aussicht hatte: zu unserer Rechten alle Berge Nepals, zu unserer Linken alle Berge Tibets, und Sikkim und Bhutan waren zur Abwechslung auch noch da. Das einzige, was sich noch über uns befand, war die Pyramide des letzten Gipfels des Everest, der sich strahlendweiß vor einem schwarzblauen Himmel erhob.
Bei jeder Rast stellte ich fest, daß Kunga Norbu ein seltsames buddhistisches Lied summte; er sah auf unterschwellige Art und Weise immer glücklicher aus, während Freds' Grinsen immer breiter wurde. »Kannst du glauben, daß wir einen so perfekten Tag erwischt haben? Wunderschön, was?«
»Hmm.« Der Tag war wirklich schön, doch ich war zu müde, um ihn zu genießen. Doch bei jeder Rast floß ein Teil ihrer Energie in mich hinein, und das war nur gut so, denn sie gingen wirklich schnell voran, und ich brauchte ihre Hilfe.
Schließlich lag wieder Schnee auf dem Grat, und wir mußten uns setzen und die Steigeisen wieder anlegen. Mir fiel dieser überaus einfache Vorgang so schwer, daß ich es
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