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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Mandeln an, doch ich hatte nicht den geringsten Appetit; und wenn ich Mandeln aß, hatte ich sowieso immer den Eindruck, einen Kaffeetisch zu verspeisen. Wir waren jedoch fürchterlich ausgetrocknet und tranken die heiße Zitrone, als sie kochte, was in dieser Höhe schon etwa bei Badetemperatur der Fall war. Sie schmeckte himmlisch.
    Doch damit war für Freds die Party keineswegs erledigt. Sein Feuerzeug scharrte, und in dessen Licht sah ich, wie er ein Loch in die Wand grub und eine Kerze darin aufstellte. Er zündete sie an, und ihr Licht wurde von den glatten weißen Wänden unseres Heims reflektiert. Er unterhielt sich kurz mit Kunga Norbu.
    »Na schön«, sagte er, als er fertig war; sein Atem breitete sich weiß in die Luft aus. »Kunga wird jetzt etwas Tumo machen.«
    »Tumo?«
    »Das ist die Kunst, sich ohne Feuer im Schnee selbst zu erwärmen.«
    Das erregte mein Interesse. »Noch eine Lama-Fähigkeit?«
    »Darauf kannst du dich verlassen. Sie kommt nackten Einsiedlern im Winter ganz gelegen.«
    »Das sehe ich ein. Sag ihm, er soll es uns vorführen.«
    Mit einigem Knirschen nahm Kunga die Lotusposition ein, mit den großen Schneestiefeln an seinen Füßen eine beeindruckende Leistung.
    Er zog seine Fäustlinge aus, und wir folgten seinem Beispiel. Dann sah er ins Nichts und begann in einem regelmäßigen, tiefen Rhythmus zu atmen. Das ging fast eine halbe Stunde so weiter, und ich befürchtete schon, wir würden alle erfrieren, bevor ihm warm wurde, als er seine Hände zu Freds und mir ausstreckte. Wir nahmen sie in die unseren.
    Sie waren so warm, als hätte er schreckliches Fieber. Ängstlich berührte ich sein Gesicht – es war warm, aber nichts im Vergleich zu den Händen. »Mein Gott«, sagte ich.
    »Wir können ihm jetzt helfen«, sagte Freds leise. »Du mußt dich konzentrieren, die Energie nutzbar machen, die immer in dir ist. Mit jedem Atemzug stößt du Stolz, Ärger, Haß, Neid, Trädheit und Dummheit von dir. Mit jedem Atemzug nimmst du Buddhas Geist, die fünf Weisheiten und alles Gute in dich auf. Wenn du ganz klar und ruhig bist, stellst du dir einen goldenen Lotus in deiner Magengrube vor … Alles klar? In diesem Lotus stellst du dir die Silbe mm vor, die Feuer bedeutet. Dann mußt du sehen, wie eine kleine Flamme – etwa von der Größe eines Ziegenköttels – im ram entsteht. Jeder Atemzug danach ist wie ein Blasebalg, der diese Flamme auffächert, die durch die Tsas im Körper gleitet, die mystischen Nerven. Stell dir den Prozeß in fünf Stadien vor … Zuerst siehst du das Uma tsa als Feuer, das mehr oder weniger dein Rückgrat hinaufkriecht … Zweitens, der Nerv hat den Durchmesser deines kleinen Fingers … Drittens, er ist so groß wie ein Arm … Viertens, dein Körper ist das Tsa selbst und wird als Feuerröhre wahrgenommen … Fünftens, das Tsa verschlingt die Welt, und du bist nur eine Flamme in einem Feuermeer.«
    »Mein Gott.«
    Wir saßen da und hielten Kunga Norbus heiße Hände, und ich stellte mich als Feuerröhre vor; und die Wärme ergoß sich in mich, meine Arme hinauf, durch meinen Oberkörper – sie taute sogar meinen erfrorenen Hintern und meine Füße auf. Ich sah Kunga Norbu an, und er sah direkt durch die Wand unserer Höhle in die Ewigkeit, oder wohin auch immer, und seine Augen glühten schwach im Kerzenlicht. Es war unheimlich.
    Ich weiß nicht, wie lange das anhielt – es schien endlos zu währen, obwohl es vermutlich nur etwa eine Stunde dauerte. Doch dann hörte es auf – Kungas Hände wurden kälter, und unsere Körper ebenfalls. Er blinzelte mehrere Male und schüttelte den Kopf. Dann sagte er etwas zu Freds.
    »Tja«, sagte Freds. »Länger kann er es dieser Tage nicht durchhalten.«
    »Was?«
    »Tja …« Er biß sich bedauernd auf die Zunge. »Es ist ungefähr so. Tulkus neigen dazu, im Verlauf ihrer verschiedenen Inkarnationen ihre Kräfte zu verlieren. Anscheinend verlieren sie bei jedem Prozeß etwas, genauso, als ob man ein Band von einer Kopie zieht, oder so. Es gibt einen Namen dafür.«
    »Übertragungsfehler«, sagte ich.
    »Genau. Na ja, das erwischt sie auch. Man sieht in Tibet sogar jede Menge Tulkus, die völlige Trottel sind. Kunga ist besser dran, aber er erinnert mich etwas an Paul Revere. Ein kleines Licht im Glockenstuhl, du weißt schon. Ein großer Lama, und ein toller Bursche, aber bei den mystischen Disziplinen nicht mehr besonders mächtig.«
    »Zu schade.«
    »Finde ich auch.«
    Ich erinnerte mich an Kungas heiße Hände

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