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Flucht aus Lager 14

Flucht aus Lager 14

Titel: Flucht aus Lager 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Harden
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nicht. Doch Park befürchtete, dass die Regierung, wenn er sich an den Wahlen nicht beteiligte, seine Abwesenheit feststellen, ihn zu einem Verräter erklären und seine Angehörigen in ein Lager verschleppen würde. Die Beteiligung an den Wahlen in Nordkorea ist nicht zwingend vorgeschrieben, doch die Regierung beobachtet genau, wer sich daran nicht beteiligt.
    An der Grenze zu Nordkorea verhafteten die nordkoreanischen Behörden Park und seine Angehörigen. Er versuchte sie davon zu überzeugen, dass er kein Überläufer sei, sondern lediglich seine Verwandten in China besucht habe und jetzt zurückgekommen sei, um sich an den Wahlen zu beteiligen. Die Behörden nahmen ihm das nicht ab. Sie beschuldigten ihn, er habe sich zum Christentum bekehrt und sei ein Spion Südkoreas. Nach mehreren Vernehmungen wurden Park, seine Frau und ihr Sohn in das Lager 14 verbracht. Park wurde im Herbst 2004 der Textilfabrik des Lagers zugeteilt.
    Als Shin ihn kennenlernte, war Park wütend auf sich, weil er nach Nordkorea zurückgekommen war. Seine Torheit hatte ihn seine Freiheit gekostet und würde, wie er Shin sagte, ihn bald auch seine Frau kosten.
    Sie hatte die Scheidung eingereicht. Sie stammte aus einer prominenten Familie in Pjöngjang mit guten Verbindungen zur Parteispitze, und sie bemühte sich, die Lagerwärter davon zu überzeugen, dass sie stets eine treue und ergebene Ehefrau gewesen, ihr Mann dagegen ein politischer Verbrecher sei.
    Trotz Parks Wut – auf die Korruptheit Nordkoreas, seine Frau und auf sich selbst – behielt er stets eine würdevolle Haltung, insbesondere wenn Essenszeit war.
    Shin fand das äußerst ungewöhnlich. Alle, die er im Lager kannte, wurden immer aufgeregter, je näher die Essenszeit kam. Doch Park konnte noch so hungrig sein, er zeigte keinerlei Nervosität. Wenn Shin in der Fabrikhalle Ratten fing, bestand Park darauf, geduldig abzuwarten, bis sie einen Ofen oder ein offenes Feuer gefunden hatten, auf dem man eine Ratte richtig braten konnte.
    Park konnte auch ein lustiger Kobold sein. In Shins Augen übertrieb er es manchmal allerdings.
    So liebte er es zum Beispiel, wenn es ihn überkam, ein Lied zu singen, gleichgültig wo er sich gerade befand oder wie spät es war.
    Während einer Nachtschicht in der Fabrik schreckte er Shin aus seinen Gedanken mit einem Lied, das er laut anstimmte.
    »He! Was machen Sie denn da?«, fragte Shin, der befürchtete, einer der Vorarbeiter könne ihn hören.
    »Singen«, antwortete Park.
    »Hören Sie sofort damit auf«, sagte Shin.
    Shin hatte in seinem ganzen Leben noch kein Lied gesungen. Nur ein einziges Mal hatte er überhaupt nur zufällig Musik gehört, als aus den Lautsprechern von Lastwagen militärische Musik ertönte, während die Häftlinge ein Feld jäteten. Shin betrachtete das Singen als unnatürlich und wahnsinnig gefährlich.
    »Würden Sie gern mit mir zusammen singen?«, fragte Park.
    Shin schüttelte heftig den Kopf, wedelte mit seinen Händen und versuchte Park zum Schweigen zu bringen.
    »Wer soll mich um diese Zeit denn hören?«, wollte Park wissen. »Singen Sie doch wenigstens ein Mal mit.«
    Shin lehnte ab.
    Park fragte ihn, warum er so viel Angst vor einem kleinen Lied habe, obwohl er doch andererseits ganz gern rebellische Geschichten höre, in denen Kim Jong Il ein Dieb und Nordkorea das Hinterletzte war.
    Shin erklärte, dass er solche Dinge hinnehme, da Park so vernünftig sei, sie nur flüsternd zu erzählen. »Es wäre mir lieber, wenn Sie nicht singen würden«, sagte er.
    Park gab nach. Doch einige Nächte später begann er plötzlich wieder zu singen. Er bot Shin an, ihm den Text beizubringen. Trotz seines Zweifels und seiner Befürchtungen hörte er Park zu und sang mit, aber leise.
    Das »Lied der Wintersonnenwende«, von dem Flüchtlinge, die in jüngerer Zeit aus Nordkorea kamen, erzählen, es sei das Erkennungslied einer populären Sendung des Staatsfernsehens, handelt von Weggefährten, die Entbehrungen und Schmerz ertragen.
    Während wir alle die lange, lange Straße des Lebens gehen, werden wir herzlich verbundene Weggefährten sein, die sich dem peitschenden Wind und Regen entgegenstellen. Auf der Straße werden wir Glück und Leid begegnen. Wir halten es aus, wir trotzen allen Stürmen des Lebens.
    Es ist noch immer das einzige Lied, das Shin kennt.
    Im November, nicht lange nachdem Park der Textilfabrik zugeteilt worden war, statteten vier Wärter der abendlichen Selbstkritikversammlung der Häftlinge

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