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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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ihren Briefen zufolge nie ihren richtigen Namen benützt.
    »Straw?«, wiederholte er und runzelte die Stirn, während er weiter polierte.
    »Das war ihr Spitzname. Sie war blond, schlank und sehr hübsch. Im vergangenen Sommer kam sie fast jeden Nachmittag zu Louie. Sie saß an einem Tisch und schrieb.«
    Er hörte mit dem Polieren auf und schaute mich mit seinen harten Augen an. »Was geht denn Sie das an? Ist sie eine Freundin von Ihnen?«
    »Sie ist eine Patientin von mir.« Ich sagte das Einzige, was mir einfiel, das weder abschreckend klang noch eine plumpe Lüge war.
    Seine dichten Augenbrauen schossen nach oben. »Eine Patientin? Sind Sie ihre Ärztin?«
    »Exakt.«
    »Nun, ich glaube nicht, dass Sie ihr jetzt noch allzu viel helfen können, Doc. Tut mir leid, das sagen zu müssen.« Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, lehnte sich zurück und wartete.
    »Das ist mir bekannt«, erwiderte ich. »Ich weiß, dass sie tot ist.«
    »Ja. Ich war ziemlich geschockt, als ich es erfuhr. Vor ein paar Wochen haben die Cops mit Gummischläuchen und Daumenschrauben die Bude hier gestürmt. Ich weiß auch nicht mehr als das, was meine Kumpel denen erzählten. Niemand hier hat auch nur die geringste Ahnung, was mit Straw geschehen ist. Sie war wirklich cool, eine echt tolle Lady. Sie saß immer genau dort drüben.« Er deutete auf einen nicht weit entfernten, leeren Tisch. »Saß die ganze Zeit nur da und kümmerte sich um ihre eigenen Angelegenheiten.«
    »Hat irgendwer von Ihnen sie näher kennengelernt?«
    »Sicher.« Er zuckte die Achseln. »Wir haben alle ein paar Bier mit ihr getrunken. Sie stand auf Corona mit Limonensaft. Aber ich kann nicht sagen, dass irgendjemand hier sie näher gekannthätte. Ich meine, ich bin mir nicht einmal sicher, dass einer von uns Ihnen sagen könnte, wo genau sie herkam.«
    »Richmond, Virginia«, erklärte ich.
    »Wissen Sie, eine Menge Leute kommen hierher und gehen wieder weg. Hier in Key West heißt es leben und leben lassen. Es gibt eine Menge armer Künstler in der Gegend. Straw war nicht anders als andere Leute, die ich hier getroffen habe. Allerdings wurden die meisten von ihnen nicht ermordet. Verdammt.« Er kratzte sich am Bart und schüttelte langsam den Kopf. »Ich kann es mir kaum vorstellen. Das geht irgendwie über meinen Horizont.«
    »Es gibt da eine Menge offener Fragen«, bemerkte ich und zündete mir eine Zigarette an.
    »Ja. Zum Beispiel, warum rauchen Sie, um alles in der Welt? Ich dachte immer, dass Ärzte es eigentlich besser wissen müssten.«
    »Es ist eine schlechte und ungesunde Angewohnheit. Und ich weiß es wirklich besser. Und Sie können mir gleich noch mal einen Rum mit Tonic machen, denn zu allem Überfluss trinke ich auch noch recht gern. Einen Barbancourt mit einem Spritzer Limone, bitte.«
    »Vier oder acht Jahre alt?« Er wollte anscheinend mein Wissen über edle Spirituosen überprüfen.
    »Fünfundzwanzig, falls Sie so was haben.«
    »Tut mir leid. Den Fünfundzwanzigjährigen bekommen Sie nur auf Haiti. Der ist so mild, dass man weinen könnte.«
    »Dann geben Sie mir den besten, den Sie haben.«
    Er zeigte mit dem Finger auf eine Flasche hinter ihm, die mir mit ihrem braunen Glas und den fünf Sternen auf dem Etikett bekannt vorkam. Barbancourt, fünfzehn Jahre im Fass gereift, genau wie der, den ich in Beryls Küchenschrank gefunden hatte.
    »Wunderbar«, sagte ich.
    Er war auf einmal voller Energie, als er grinsend aufstand. Geschickt wie ein Jongleur hantierte er mit den Flaschen, goss ohne Zuhilfenahme eines Messbechers einen langen Strahl des flüssigenGoldes aus Haiti und ein paar funkelnde Spritzer Tonic in ein Glas. Fürs große Finale schnitt er von einer Limone, die aussah, als wäre sie eben vom Baum gepflückt worden, eine Scheibe ab, drückte den Saft in meinen Drink und fuhr mit einer zerquetschten Zitronenschale über den Rand des Glases. Er wischte sich seine Hände an dem Tuch ab, das er in den Bund seiner ausgeblichenen Jeans gesteckt hatte, schob eine Papierserviette über die Bar und präsentierte mir sein Meisterwerk. Es war ohne Zweifel der beste Rum mit Tonic, den ich jemals getrunken hatte, und das sagte ich ihm auch.
    »Geht auf Kosten des Hauses«, strahlte er, als er die Zehn-Dollar-Note, die ich ihm hingestreckt hatte, zurückwies. »Ärztinnen, die rauchen und was von Rum verstehen, sind mir jederzeit willkommen.« Er griff unter die Bar und holte sein eigenes Päckchen hervor.
    »Ich kann Ihnen sagen«, fuhr er fort

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