Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman
Klaps.
»Ist mal was anderes«, sagte ich.
»Seit meinem sechzehnten Lebensjahr gehört er mir.«
»Und Sie wollen ihn für immer behalten«, bemerkte ich ernsthaft, als ich mich bückte und ihm unter Zweigen hindurch in den tiefen kühlen Schatten folgte.
»Es ist nichts Besonderes«, meinte er, als er die Tür aufschloss. »Beryl hat in dem Gästezimmer mit Toilette im ersten Stock gewohnt. In der nächsten Zeit werde ich es vielleicht wieder vermieten. Aber ich bin bei meinen Mietern ziemlich wählerisch.«
Das Wohnzimmer bestand aus einem Sammelsurium von Möbeln, die allesamt vom Sperrmüll stammen mussten: eine Couch und ein dicker Sessel in hässlichem Pink mit Grün neben kitschigen Lampen, die aus merkwürdigen Dingen wie Muscheln und Korallen zusammengebastelt waren. Der Couchtisch war in seinem früheren Leben einmal eine Eichentür gewesen. Überall lagen bemalte Kokosnüsse, getrocknete Seesterne, Zeitungen, Schuhe und Bierdosen verstreut. Die feuchte Luft roch sauer und verdorben.
»Wie hat Beryl herausgefunden, dass Sie das Zimmer vermieteten?«, fragte ich, als ich auf der Couch saß.
»In Louie’s Backyard«, erwiderte er und knipste ein paar von den Lampen an. »Die ersten paar tage lang wohnte sie noch im Ocean Key, einem recht netten Hotel an der Duval Street. Ich glaube, dass sie sich ziemlich schnell ausgerechnet hat, dass das ein kleines Vermögen kosten würde, falls sie länger hierbleiben würde.« Er setzte sich auf den Sessel. »Es war so ungefähr beim dritten Mal, als sie bei Louie zu Mittag aß. Sie bestellte nur einen Salat, saß da und starrte hinaus aufs Wasser. Damals hat sie noch nicht gearbeitet. Sie saß nur da. Es war schon ziemlich sonderbar, wie sie stundenlang herumhing, fast den ganzen Nachmittag lang. Schließlich, es war, wie gesagt, das dritte Mal, dass sie bei Louie war, kam sie herunter zur Bar, lehnte sich ans Geländer und schaute wieder hinaus aufs Meer. Ich glaube, sie hat mir leidgetan.«
»Warum?«
Er zuckte mit den Achseln. »Vielleicht, weil sie so fürchterlich verloren aussah. Ziemlich deprimiert. Ich spürte das. Also fing ich ein Gespräch an. Das war nicht gerade einfach, glauben Sie mir.«
»Es war nicht einfach, sie näher kennenzulernen«, stimmte ich zu.
»Es war verflucht schwer, eine höfliche Unterhaltung mit ihr zu führen. Ich stellte ihr eine Reihe einfacher Fragen wie: Sind Sie zum ersten Mal hier? Oder: Woher kommen Sie? Etwas in der Art. Manchmal gab sie mir nicht einmal eine Antwort. So, als wäre ich gar nicht da. Aber es war komisch, irgendetwas sagte mir, dass ich an ihr dranbleiben sollte. Ich fragte sie, was sie gern trinken würde. Wir sprachen über alle möglichen Drinks. Das machte sie ein wenig lockerer, weckte ihr Interesse. Also ließ ich sie ein paar Spezialitäten des Hauses probieren. Zuerst ein Corona mit Limone, das ihr wahnsinnig gut schmeckte. Dann den gleichen Barbancourt, den ich Ihnen gemixt habe. Der ist wirklich etwas Besonderes.«
»Dabei taute sie bestimmt ein ganzes Stück auf«, bemerkte ich.
Er lächelte. »Ja. Sie sagen es. Ich machte ihn ziemlich stark. Wir plauderten noch über viele andere Sachen, und schließlich fragte sie mich, ob ich hier in der Gegend ein Zimmer wüsste. Ich sagte ihr, dass ich selbst eines hätte, und lud sie ein, es sich anzusehen. Sie sollte, wenn sie Lust hätte, später vorbeikommen. Es war ein Sonntag, und an Sonntagen gehe ich immer etwas früher nach Hause.«
»Und sie kam tatsächlich an diesem Sonntagabend vorbei?«
»Ich war wirklich überrascht. Ich hatte angenommen, sie würde nicht kommen. Aber sie kam, fand das Haus ohne Probleme. Walt war schon zu Hause. Er verkaufte sein Zeug droben am Square bis zum Einbruch der Dunkelheit. Er war gerade heimgekommen, und so redeten und tranken wir eine Weile zu dritt. Dann zogen wir los in die Altstadt und endeten schließlich bei Sloppy Joe. Sie flippte völlig aus, schließlich war sie ja eine Schriftstellerin, und redete die ganze Zeit über Hemingway. Sie war eine sehr kluge Frau.«
»Walt verkaufte Silberschmuck«, stellte ich fest. »Am Mallory Square.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte P. J. erstaunt.
»Aus Beryls Briefen«, antwortete ich.
Er starrte einen Moment traurig vor sich hin.
»Sie hat auch Sloppy Joe erwähnt. Ich hatte den Eindruck, dass sie Sie und Walt sehr gern hatte.«
»Ja, wir drei konnten schon eine Menge Bier vertragen.« Er hob eine Zeitschrift vom Boden auf und warf sie auf den
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