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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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brach etwas in mir entzwei. Der Benzintank von Marinos Auto musste genau in dem Moment explodiert sein, als Sammy, das Eichhörnchen, wie verrückt an der Stromleitung herumturnte. Verschreckt wollte es sich in Sicherheit bringen, und für den Bruchteil einer Sekunde berührten seine Pfoten gleichzeitig das geerdete Trafohäuschen und die Hochspannungsleitung. Zwanzigtausend Volt rasten durch seinen kleinen Körper, ließen ihn in Flammen aufgehen und die Hauptsicherung durchbrennen.
    Ich hatte ihn in eine Schuhschachtel geschaufelt und in meinemRosengarten beerdigt. Der Anblick seiner schwarzen Leiche im Morgenlicht wäre zu viel für mich gewesen.
    Als ich mit dem Packen fertig war, war immer noch kein Strom da. Ich ging nach unten, trank einen Brandy und rauchte so lange, bis ich nicht mehr zitterte. Mein Ruger auf dem Barschränkchen glitzerte im Licht der Petroleumlampen. Ich legte mich nicht mehr ins Bett. Als ich die Haustür zuschloss, ignorierte ich die Verwüstung meines Gartens. Ich rannte so hastig zu meinem Auto, dass mir der Koffer gegen die Beine schlug und schmutziges Wasser unter meinen Tritten hochspritzte. Ich konnte nicht einen einzigen Streifenwagen entdecken, als ich schnell die stille Straße hinunterfuhr. Ich kam kurz nach fünf Uhr früh am Flughafen an und schloss mich in der Damentoilette ein, wo ich meinen Revolver aus der Handtasche nahm, ihn entlud und in meinen Koffer packte.

15
    Am Mittag verließ ich das Flugzeug durch die Passagierbrücke und stürzte mich in das sonnendurchflutete Gedränge des Miami International Airport.
    Ich blieb stehen, um mir den Miami Herald zu kaufen und eine Tasse Kaffee zu trinken. Ich fand einen kleinen Tisch hinter einer Topfpalme, zog meinen Winterblazer aus und rollte mir die Ärmel hoch. Schweiß lief mir am ganzen Körper hinunter, so dass ich völlig durchnässt war. Meine Augen brannten von zu wenig Schlaf, und was ich entdeckte, als ich die Zeitung aufschlug, war auch nicht gerade geeignet, meine Laune zu verbessern. Unten links auf der Titelseite sah ich ein spektakuläres Foto, das Feuerwehrmänner zeigte, wie sie eben Marinos brennendes Auto löschten. Unter dem dramatischen Tableau aus Wasserbögen, Rauchschwaden und den brennenden Bäumen am Rand meines Hofes las ich folgende Bildunterschrift:
     
    Polizeiwagen explodiert – Die Feuerwehr von Richmond löscht den Wagen eines Beamten der Mordkommission, der auf einer ruhigen Wohnstraße in Flammen aufging. Der Ford LTD war leer, als er gestern Nacht explodierte. Niemand wurde verletzt. Es besteht der Verdacht auf Brandstiftung.
     
    Wenigstens stand da nicht, wem das Haus gehörte, vor dem Marinos Wagen geparkt war, und warum er dort gestanden hatte, Gott sei Dank. Trotzdem würde meine Mutter das Bild sehen und versuchen, mich anzurufen. »Ich wünschte, du wärest wieder in Miami, Kay. Dieses Richmond muss ja schrecklich sein. Und das neue Büro des Medical Examiner hier ist so ein schönes Gebäude, Kay«, würde sie sagen. »Es sieht aus wie aus einem Film.« Komischerweise kam es meiner Mutter nie in den Sinn, dass es in meiner hispanisch geprägten Heimatstadt jedes Jahr mehr Morde,Schießereien, Drogendeals, Rassenunruhen, Vergewaltigungen und bewaffnete Raubüberfälle gab als in Virginia und den ganzen Neuenglandstaaten zusammen.
    Ich beschloss, meine Mutter später anzurufen. Der liebe Gott mochte mir vergeben, ich konnte jetzt einfach nicht mit ihr sprechen.
    Ich sammelte meine Sachen zusammen, drückte meine Zigarette aus und mischte mich unter die tropisch gekleidete Menschenflut, die Einkaufstüten aus dem Duty-free-Shop mit sich herumschleppte und in fremden Zungen schnatternd zur Gepäckabholung strömte. Ich drückte meine Handtasche fester an meinen Körper.
    Erst ein paar Stunden später, als ich in meinem Mietwagen über die Seven Mile Bridge glitt, fing ich an, mich zu entspannen. Wie ich so, zwischen dem Golf von Mexiko auf der einen und dem Atlantik auf der anderen Seite, weiter nach Süden fuhr, versuchte ich mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal in Key West gewesen war. Wenn Tony und ich meine Familie in Miami besucht hatten, hatten wir nie an einen Ausflug dorthin gedacht. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich das letzte Mal mit Mark hinuntergefahren war.
    In seiner liebe zum Strand, dem Wasser und der Sonne zeigte sich eine Hingabe, die irgendwie erwidert wurde. Wenn es möglich ist, dass die Natur manche ihrer Geschöpfe mehr bevorzugt als andere, so war

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