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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Jahren.«
    »Hat ihr irgendjemand dafür Modell gestanden?«, wollte ich wissen.
    »Sie könnte es auch von einer Fotografie abgemalt haben ...« Wieder runzelte er die Stirn. »Aber da bin ich wirklich überfragt. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wer, wenn überhaupt jemand, ihr dafür Modell gestanden haben könnte.«
    Ich zeigte nicht, wie überrascht ich war. Beryl war damals wohl zwischen sechzehn und siebzehn Jahre alt gewesen und hatte wahrscheinlich in Cutler Grove gewohnt. War es möglich, dass Mr. Hilgeman und die anderen Leute in der Stadt nichts davon gewusst hatten?
    »Es ist doch traurig«, sinnierte er. »So talentierte, intelligente Leute. Und sie hatten keine Familie, keine Kinder.«
    »Hatten sie Freunde?«, fragte ich.
    »Ich kenne leider keinen der beiden persönlich«, erwiderte er. Und du wirst auch keinen von beiden mehr kennenlernen, dachte ich morbide.
    Marino wischte gerade seine Windschutzscheibe mit einem Fensterleder ab, als ich auf den Parkplatz zurückkam. Der geschmolzene Schnee und das Tausalz hatten seinen schönen schwarzen Wagen mit einer fleckigen Schmutzschicht überzogen. Er schien nicht gerade glücklich darüber zu sein. Auf dem Gehsteig neben der Fahrertür lag ein Haufen Zigarettenstummel, den er ohne viel Umschweife einfach aus dem Aschenbecher gekippt hatte.
    »Zwei Dinge«, begann ich sehr ernst, als wir losfuhren. »In der Bibliothek im Haus hängt das Porträt eines jungen blonden Mädchens, das Miss Harper offensichtlich vor fünfzehn Jahren in diesem Laden rahmen ließ.«
    »Beryl Madison?« Er holte sein Feuerzeug aus der Tasche.
    »Es könnte recht gut ihr Porträt sein«, erwiderte ich. »Aber wenn dem so wäre, dann stellt es sie viel jünger dar, als sie damals war. Und der Stil des Bildes ist ein wenig seltsam, lolitahaft.« »Wie?«
    »Sexy«, sagte ich platt. »Das kleine Mädchen ist so dargestellt, dass es sinnlich aussieht.«
    »Ach ja. Und jetzt wollen Sie mir erzählen, dass Cary Harper ein verkappter Kinderschänder war.«
    »Also erstens hat seine Schwester das Porträt gemalt«, entgegnete ich.
    »Mist.«
    »Und zweitens«, fuhr ich fort, »habe ich den dringenden Verdacht, dass der Besitzer des Rahmenladens keine Ahnung hatte, dass Beryl jemals bei den Harpers gewohnt hat. Da frage ich mich natürlich, ob andere Leute hier es gewusst haben. Und wenn nicht, dann stellt sich die Frage, wie das möglich ist. Sie hatdoch jahrelang in dem Haus gewohnt, Marino, und es ist nur ein paar Kilometer von der Stadt entfernt. Und dies ist eine Kleinstadt.«
    Er schaute beim Fahren stur geradeaus und sagte kein Wort.
    »Nun«, beschloss ich, »das alles ist vielleicht auch bloße Spekulation. Schließlich lebten sie sehr zurückgezogen. Wahrscheinlich hat Cary Harper alles getan, um Beryl vor der Welt zu verstecken. Wie auch immer, die ganze damalige Konstellation scheint wohl nicht eine allzu gesunde gewesen zu sein. Aber sie muss nicht unbedingt etwas mit dem Tod der drei zu tun haben.«
    »Zum Teufel«, fluchte er kurz angebunden, »gesund ist wirklich das falsche Wort. Ob sie zurückgezogen lebten oder nicht, ich kann nicht begreifen, dass niemand hier etwas von Beryl gewusst haben soll. Es sei denn, sie haben sie eingesperrt und an einen Bettpfosten gekettet, die verdammten Perverslinge. Ich hasse Leute, die sich an Kindern vergreifen. Wussten Sie das?« Er blickte mich wieder an. »Ich hasse so was wirklich. Und außerdem habe ich schon wieder so ein Gefühl.«
    »Was für ein Gefühl?«
    »Dass Mr. Pulitzerpreis Beryl um die Ecke gebracht hat«, antwortete Marino. »Weil sie in ihrem Buch alles ausplaudern wollte. Deshalb ist er ausgerastet und hat sie mit dem Messer besucht.«
    »Und wer hat dann ihn umgebracht?«
    »Na, vielleicht seine verrückte Schwester.«
    Wer auch immer Cary Harper ermordet hatte, musste so kräftig sein, dass er ihn mit ein paar wuchtigen Schlägen augenblicklich bewusstlos machen konnte. Jemandem die Kehle durchzuschneiden passte auch nicht zu einer Frau. Mir war tatsächlich noch nie ein Fall untergekommen, in dem eine Frau so etwas getan hatte.
    Nach einer langen Stille fragte Marino: »Kam Ihnen die alte Harper-Dame eigentlich senil vor?«
    »Ziemlich exzentrisch, aber nicht senil«, sagte ich.
    »Verrückt?«
    »Nein.«
    »Nach dem, wie Sie mir die Geschichte erzählt haben, scheintmir ihre Reaktion darauf, dass ihr Bruder abgemurkst wurde, nicht gerade die angemessenste gewesen zu sein.«
    »Sie stand unter einem Schock,

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