Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
sowie Reagenzgläser mit ihrem Blut.
    »Wie lange dauert es, bis das Zeug auftaut?«, fragte er.
    »Wir haben noch viel Zeit, bis wir es abliefern müssen. Allerdings sollten wir keine Umwege machen«, gab ich zurück.
    »Weil Sie gerade von viel Zeit sprechen, die wir haben, würde es Ihnen etwas ausmachen, mir in aller Ruhe noch einmal die Sache mit dem Hustensirup zu erklären? Als Sie sie gestern Abend heruntergerasselt haben, war ich hundemüde.«
    »Ja, genauso hundemüde, wie Sie heute Morgen sind.« »Werden Sie denn niemals müde?«
    »Ich bin so müde, Marino, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich das alles überlebe.«
    »Nun, das möchte ich doch schwer hoffen. Ich werde nämlich, verdammt noch mal, diese Einzelteile nicht allein abgeben«, sagte er und griff nach seinem Kaffee.
    Ich erklärte ihm das Folgende so langsam und bedächtig, dass es fast wie eine Unterrichtsstunde vom Tonband klang: »Die aktive Substanz in dem Hustenstiller, den wir in Miss Harpers Badezimmer gefunden haben, ist Dextromethorphan, was dasselbe ist wie Kodein. Dextromethorphan ist harmlos, außer wenn man es in extremen Dosen zu sich nimmt. Es ist das D-Isomer einer Verbindung, deren Namen Ihnen nichts sagen wird.«
    »Ach ja? Woher wissen Sie denn, dass er mir nichts sagen wird?«
    »3-Methoxy-N-methylmorphinan.«
    »Sie haben recht. Das sagt mir überhaupt nichts.«
    Ich fuhr fort: »Von dieser Verbindung gibt es aber auch ein L-Isomer, und diese Substanz heißt Levorphanol und ist ein hochwirksames Narkotikum, das etwa fünfmal so stark ist wie Morphium. Der einzige Unterschied beim Nachweis dieser beiden Substanzen besteht darin, dass Dextromethorphan das Licht in einem Polarimeter nach rechts ablenkt und Levorphanol nach links.«
    »Mit anderen Worten, ohne dieses Gerät können Sie die beiden Substanzen nicht unterscheiden«, schloss Marino daraus.
    »In den routinemäßigen toxikologischen Tests kann man sie nicht unterscheiden«, antwortete ich. »Levorphanol erscheint dort als Dextromethorphan, weil die Verbindungen praktisch identisch sind. Der einzige Unterschied ist der, dass sie das Licht in verschiedene Richtungen ablenken, so wie D-Sucrose und L-Sucrose. Auch sie drehen das Licht in verschiedene Richtungen, obwohl sie vom Aufbau her genau gleiche Disaccharide sind. D-Sucrose ist normaler Kristallzucker, und L-Sucrose hat keinen Nährwert für den Menschen.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich da mitkomme«, sagte Marino und rieb sich die Augen. »Wie können Verbindungen gleich und doch verschieden sein?«
    »Stellen Sie sich Dextromethorphan und Levorphanol wie eineiige Zwillinge vor«, erklärte ich. »Sie sind zwar nicht derselbe Mensch, aber sie sehen gleich aus. Es sei denn, der eine ist Rechts- und der andere Linkshänder. Einer ist gutmütig, der andere wäre zu einem Mord fähig. Hilft Ihnen das weiter?«
    »Ja, ich glaube schon. Wie viel von diesem Levorphanol-Zeug hätte denn Miss Harper gebraucht, um sich um die Ecke zu bringen?«
    »Dreißig Milligramm hätten vermutlich ausgereicht. Mit anderen Worten, fünfzehn Tabletten à zwei Milligramm«, antwortete ich.
    »Nehmen wir einmal an, sie hätte das getan. Was wäre dann passiert?«
    »Dann wäre sie sehr schnell in eine tiefe Betäubung gefallen und gestorben.«
    »Meinen Sie, sie wusste etwas von dieser Isomer-Geschichte?«
    »Das wäre möglich«, erwiderte ich. »Wir wissen, dass sie Krebs hatte, und wir hegen den Verdacht, dass sie ihren Selbstmord verschleiern wollte. Das wäre vielleicht eine Erklärung für das geschmolzene Plastik in ihrem Kamin, was auch immer sie vor ihrem Tod verbrannt haben mochte. Möglicherweise hat sie dieFlasche mit Hustensirup absichtlich ins Bad gestellt, um uns auf eine falsche Fährte zu locken. Nachdem ich diese Flasche gesehen hatte, war ich natürlich nicht allzu überrascht, als in ihrem toxikologischen Befund Dextromethorphan auftauchte.«
    Miss Harper hatte keine lebenden Verwandten und sehr wenige Freunde – wenn überhaupt welche –, und sie war mir nicht wie ein besonders reiselustiger Mensch vorgekommen. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass sie kürzlich eine Reise nach Baltimore unternommen hatte, hatte ich zuallererst an die Klinik der Johns Hopkins University gedacht, eine der besten onkologischen Einrichtungen der Welt. Eine Reihe kurzer Telefongespräche bestätigte, dass Miss Harper regelmäßig das Krankenhaus besucht hatte, um sich Blut- und Knochenmarktests zu unterziehen, was bei der

Weitere Kostenlose Bücher