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Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman

Titel: Flucht - Ein Kay-Scarpetta-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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waren langsam, weil ich angespannt war und zu wenig geschlafen hatte.
    »Sie wissen nicht, in welchem Hotel?« Marino ließ nicht locker.
    »Nein. Ich habe keine Ahnung ...«
    Auf einmal sah ich wieder die Fragmente von schreibmaschinengeschriebenen Wörtern auf der hauchdünnen, weißen Asche vor mir.
    Ich unterbrach die beiden: »Dürfte ich bitte einmal einen Blick in Ihr Telefonbuch werfen?«
    Fünfzehn Minuten später standen Marino und ich auf der Straße und warteten auf ein Taxi. Obwohl die Sonne schien, war es ziemlich kalt.
    »Verdammt«, sagte er noch einmal, »ich hoffe, dass Sie recht haben.«
    »Das werden wir bald erfahren«, erwiderte ich angespannt. Im Telefonbuch hatte ich ein Hotel gefunden, das Harbor Court hieß. bor Co , bor C . Ich sah immer wieder die kleinen schwarzen Buchstaben auf den Fetzen verbrannten Papiers vor mir. Das Hotel war eines der luxuriösesten in der ganzen Stadt, und es befand sich direkt am Harbor Place.
    »Ich will Ihnen sagen, was mir nicht in den Kopf will«, fuhr Marino fort, als wieder ein Taxi an uns vorbeifuhr. »Wozu der ganze Aufwand? Miss Harper bringt sich um, okay? Wozu aber sollte sie sich die Mühe machen und es auf so geheimnisvolle Weise tun? Ergibt das für Sie irgendeinen Sinn?«
    »Sie war eine stolze Frau. Vielleicht schämte sie sich, Selbstmord zu begehen. Vielleicht wollte sie nicht, dass jemand dahinterkam, und vielleicht entschloss sie sich dazu, sich das Leben zu nehmen, weil ich in ihrem Haus war.«
    »Warum?«
    »Vielleicht wollte sie nicht, dass ihre Leiche erst nach einer Woche gefunden würde.« Der Verkehr war schrecklich, und ich begann mich zu fragen, ob wir zu Fuß zum Hafen gehen mussten.
    »Und Sie glauben wirklich, dass sie etwas von dieser Isomer-Geschichte gewusst hat?«
    »Ich glaube schon«, sagte ich.
    »Wieso?«
    »Weil sie sich bestimmt einen würdigen Tod wünschte, Marino. Es ist möglich, dass sie schon eine geraume Zeit an Selbstmord gedacht hatte, für den Fall, dass ihre Leukämie ins akute Stadium träte. Sie wollte vielleicht nicht lange leiden oder anderen lange zur Last fallen. Levorphanol war dafür genau das Richtige. Wenn man im Haus eine Flasche mit Hustenstiller finden würde, derDextromethorphan enthielte, schien es ziemlich unwahrscheinlich, dass es entdeckt werden würde.«
    »Ohne Quatsch?«, fragte er sich verwundert, als, Gott sei Dank, ein Taxi aus dem vorbeifließenden Verkehr auf uns zusteuerte. »Ich bin beeindruckt, wirklich.«
    »Es ist tragisch.«
    »Ich weiß nicht.« Er packte einen Kaugummi aus und begann mit Hingabe zu kauen. »Also ich würde mich nicht mit Schläuchen in meiner Nase an ein Krankenhausbett fesseln lassen. Vielleicht würde ich genau dasselbe tun wie sie.«
    »Sie hat sich nicht umgebracht, weil sie Krebs hatte.«
    »Ich weiß«, sagte er, als wir vom Gehsteig auf die Straße traten. »Aber es hängt damit zusammen, das muss es ganz einfach. Sie hatte sowieso nicht mehr lange zu leben, und dann wurde auch noch Beryl abgemurkst. Und kurz darauf ihr Bruder.« Er zuckte mit den Achseln. »Wozu dann noch weiterleben?«
    Wir stiegen in das Taxi, und ich gab dem Fahrer die Adresse. Eine Viertelstunde lang fuhren wir schweigend dahin. Dann wurde das Taxi sehr langsam und kroch durch einen engen Tor bogen in einen Innenhof zwischen Ziegelwänden, den Beete bunter Zierpflanzen und kleine Bäume schmückten. Ein Portier in Frack und Zylinder erschien sofort neben mir und geleitete uns in eine großartige, lichterfüllte Lobby, die ganz in Rosa und Creme gehalten war. Alles war neu, sauber und auf Hochglanz poliert. Frische Blumen standen auf edlem Mobiliar, und aufmerksames Personal war überall sofort zur Stelle, ohne im Geringsten aufdringlich zu wirken. Man führte uns in ein geschmackvoll eingerichtetes Büro, in dem ein gutgekleideter Manager gerade telefonierte. T. M. Bland, wie ein Namensschild aus Messing auf seinem Tisch verriet, sah uns an und beendete hastig sein Gespräch. Marino verschwendete keine Zeit und teilte ihm gleich mit, was er wollte.
    »Unsere Gästeliste ist leider streng vertraulich«, antwortete Mr. Bland mit einem liebenswürdigen Lächeln.
    Marino ließ sich in einen Ledersessel fallen und zündete sich, trotz des unübersehbaren »Bitte nicht rauchen«-Schildes an derWand, eine Zigarette an, bevor er seine Brieftasche hervorholte und seine Dienstmarke zeigte.
    »Mein Name ist Pete Marino«, sagte er kurz angebunden. »Vom Richmond Police Department,

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