Flucht im Mondlicht
leer war. Habib fuhr durch das Finanzviertel, dann die Divisadero-Street entlang, in Richtung Jachthafen. Es war Freitagabend, und die Bürgersteige waren voller Menschen, die in Restaurants und Cafés strömten oder herauskamen. Habib verließ die Hauptverkehrsstraße, bog nach rechts in ein ruhiges Wohnviertel ein und hielt vor einem kleinen Haus, das knallgelb angestrichen war.
»Ist es das, Sir?«, fragte Habib mit einer Spur von Besorgnis in der Stimme.
Der Fahrgast blinzelte und knurrte: »Ja, ja, das ist es.«
»Wunderbar«, sagte Habib und stieg aus, um dem Mann mit dem Gepäck zu helfen.
Der Fahrgast beugte sich zum offenen Fenster der Fahrertür hinab, blickte zu Fadi hinüber und sagte: »Sei fleißig in der Schule, junger Mann.« Er klopfte mit seinem Stock auf das Lenkrad. »Wenn du nicht fleißig lernst und arbeitest, endest du als Taxifahrer, wie dein Vater.«
Fadi öffnete wütend den Mund, doch dann sah er durch die Windschutzscheibe den warnenden Blick seines Vaters. Was fällt dem Alten ein? Weiß er nicht, dass mein Vater einen Doktortitel hat? Am liebsten hätte er den Spazierstock geschnappt und entzweigebrochen. Dann verflog sein Zorn. Natürlich kann der Mann nicht wissen, dass mein Vater mehrere Universitätsabschlüsse hat. Für ihn ist mein Vater nur ein armer Taxifahrer. Und ich bin sein ungezogener Sohn .
Habib kassierte die Gebühr und stieg wieder in den Wagen. Fadi blickte ihn verstohlen an und war überrascht über den niedergeschlagenen Gesichtsausdruck seines Vaters. Seine Kehle schnürte sich zusammen. Beklommen sah er weg, als Habib losfuhr, und machte sich auf eine Standpauke gefasst. Minuten verstrichen, aber sein Vater blieb still. Er bog wieder in die Divisadero-Street ab und fuhr weiter in die Stadt hinein. Fadi warf einen Seitenblick auf Habibs müdes Gesicht und hielt den Mund. Sie kamen an einem großen Krankenhaus vorbei. Danach steuerte Habib ein Schnellrestaurant an, vor dem mehrere Polizeiautos parkten.
»Äh, du willst mich doch nicht verhaften lassen, oder?«, fragte Fadi und setzte sich aufrecht hin.
»Hast du eine Straftat begangen?«, fragte Habib.
»Nein.«
»Dann wirst du auch nicht verhaftet«, sagte Habib. Er fuhr das Taxi in eine Parklücke. »Komm mit. Ich brauche einen Kaffee.«
Fadi folgte seinem Vater in das gut besuchte Schnellrestaurant. Eine Frau mit einer toupierten Hochfrisur hieß sie willkommen. Am Tresen saßen ein paar Polizisten, die Spiegelei-Sandwiches aßen und Informationen austauschten.
»Einen Tisch für zwei, bitte«, sagte Habib.
»Gerne«, sagte die Frau, die offenbar die Wirtin war. Ihr Lidschatten war himmelblau und glitzerte.
»Ich muss zuerst daheim anrufen, um Bescheid zu sagen, dass dir nichts passiert ist«, sagte Habib und deutete zu einer Telefonzelle. »Du gehst schon mal vor und setzt dich hin.«
Fadi nickte und folgte der Frau zu einer kleinen Sitzecke.
Sie reichte ihm zwei Speisekarten. »Hier bitte, Kleiner. Schau sie durch. Ich schicke gleich einen Kellner rüber.«
Fadi hatte die Tageskarte halb durchgelesen, als Habib zurückkam.
»Hast du Hunger?«, fragte er.
Fadi schüttelte den Kopf. Er blickte auf seine Hände hinab, die die Karte hielten. Unter seinen Fingernägeln waren Spuren von Motoröl.
Habib überflog die Speisekarte, als ein Mann in engen violetten Hosen und einer Schürze vorbeikam.
»Was kann ich für Sie tun, meine Herren?«, fragte er und zückte seinen Notizblock.
»Für mich einen Kaffee, bitte«, sagte Habib. »Und für meinen Sohn ein Stück Apfelkuchen und ein Glas Milch.«
»Eine gute Wahl.« Der Kellner zwinkerte. »Der Apfelkuchen kam gerade aus dem Ofen. Ich bringe ihn, sobald er geschnitten ist.«
Als der Kellner davoneilte, wandte Habib sich Fadi zu. »Nun erzähl mir, was du im Kofferraum meines Taxis gemacht hast.«
Fadi schluckte. Er blickte seinen Vater an. Zu seiner Überraschung sah er keinen Zorn in Habibs Augen. Da war nur Traurigkeit, gemischt mit Besorgnis.
Fadi wischte sich eine Träne weg und öffnete den Mund. Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, während er seinen ganzen verrückten Plan schilderte.
Als Fadi zu Ende erzählt hatte, nahm Habib einen großen Schluck Kaffee und schwieg eine Weile, als wäge er seine Worte ab. »Du dachtest also, du könntest einfach nach Peschawar zurückfliegen und Mariam finden?«
Als Fadi seinen Vater diese Idee aussprechen hörte, wurde ihm klar, wie dumm sie gewesen war. Er nickte verlegen.
»Es ist
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