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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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einem ausnehmend freundlichen
Verkäufer. Hier bekam ich alle Kräuter und Zutaten, für die ich in Deutschland
so weit gefahren war, und sie schmeckten, wie sie schmecken sollten. Endlich
hatte ich einen Gesprächsstoff mit den anderen Frauen aus der Nachbarschaft.
Tunesierinnen sind sehr stolz auf ihre Gerichte, und ich fragte nach Rezepten
und ihrer Zubereitung. Es war nicht ungewöhnlich, dass ich drei, vier Stunden
täglich in der Küche zubrachte. Für einen wohlschmeckenden Couscous kann man
gut und gerne drei Stunden investieren. Es machte mir nichts aus, im Gegenteil,
ich freute mich wie ein Kind, wenn mir ein neues Rezept geglückt war, und
konnte es kaum erwarten, was Farid zu meinen Fortschritten sagte.
    Leider honorierte er meine Bemühungen nicht. Das tat weh, und hatte
ich ihn in Deutschland noch vor allen, besonders vor mir selbst entschuldigt,
so zeitigte die Lieblosigkeit in seinem Verhalten jetzt Wirkung. Ich war es
müde, missachtet und gedemütigt zu werden. Es braucht zwei für einen Neuanfang;
vielleicht hätte es auch eine Frau gebraucht, die zu allem schweigt, doch ich
konnte nicht stumm daneben stehen, wenn all meine Bemühungen mit Füßen getreten
wurden.
    Und Farid, was ging in ihm vor? Er war schlecht gelaunt, da er schon
wieder durch eine Führerscheinprüfung gefallen war, was ihn keineswegs davon
abhielt, mein Auto zu beschlagnahmen.
    »Irgendwann halten Sie dich auf und wollen deine Papiere sehen«,
prophezeite ich ihm.
    »Wer hält einen Arzt schon auf«, tönte er großspurig. Damit jeder
wusste, dass er zu den Göttern in Weiß zählte, prangte an der Windschutzscheibe
ein kleines blaurotes Schild mit dem Äskulapstab, damit auch Analphabeten
wussten, mit wem sie es zu tun hatten, und daneben stand Tabib ,
Arzt.
    Es war Farid enorm wichtig, überall den besten Eindruck zu
hinterlassen und dem Image zu entsprechen, das er anstrebte. In dieser Schmierenkomödie
wirkten Emira und ich als Statistinnen. Ja, vor mir selbst nannte ich es eine
Schmierenkomödie, denn innerlich begehrte ich dagegen auf, was mit uns, mit mir
geschah. Und ich sah keine Möglichkeit, mit Farid zu reden … wirklich zu reden,
einander zuzuhören, auch den anderen zu begreifen – und begriffen zu werden.
Der Schein sollte gewahrt werden – das war der Stern, unter dem unsere
Beziehung damals stand. Wie es wirklich um uns bestellt war, hatte niemanden zu
kümmern.
    Gelegentlich gingen wir essen im Robinson Club. Viele Menschen
lächelten uns freundlich an, und in ihren Augen las ich, dass sie uns für eine
Vorzeigefamilie hielten. Der Herr Doktor mit seiner blonden Frau und dem
entzückenden Kind. Schön, dass es so eine Harmonie noch gab. Farid tat alles,
um den Eindruck der Bilderbuchfamilie glänzen zu lassen. Sobald wir uns in der
Öffentlichkeit bewegten, war er wie ausgewechselt, ein anderer als zu Hause, wo
er seine schlechte Laune tagtäglich an mir ausließ. Offenbar streifte er sie
über, sobald er unsere Wohnung betrat; für die Wohnung war ich zuständig, also
war ich schuld.
    Eines Tages konnte ich nicht mehr. Nach einem besonders schlimmen
Auftritt stürzte ich mit Emira auf dem Arm aus dem Haus und fuhr mit dem Auto
weg. Ich war keine zehn Minuten unterwegs, da rief er mich an.
    »Wo willst du hin? Was soll das?«
    »Ich brauche ein paar Tage Abstand.«
    »Wovon?«
    »Von allem. Ich … es geht mir nicht gut. Ich muss nachdenken.«
    »Das kannst du zu Hause auch. Dazu hast du den ganzen Tag Zeit. Wenn
du jetzt nicht sofort zurückkommst, lasse ich dich nicht mehr in die Wohnung.«
    Ich drückte den Knopf, um das Gespräch zu beenden. Fünf Sekunden
später schleuderte er mir die nächste Drohung ins Ohr:
    »Wenn du nicht sofort nach Hause kommst, mache ich dich fertig.«
    Wieder drückte ich ihn weg.
    »Wenn du nicht sofort nach Hause kommst, wirst du dir wünschen, nie
geboren worden zu sein.«
    Seine Stimme machte mir Angst. Wie weit würde er diesmal gehen? Was
sollte ich tun, wohin sollte ich fahren? Ich beschloss umzukehren. Wenn ich ihm
zeigte, dass ich bereit war, noch einmal ganz von vorne zu beginnen, würde er
dann vielleicht auch wieder netter sein?
    Als er die Tür öffnete und ich sein wutverzerrtes Gesicht sah,
wusste ich, dass meine Annahme falsch war. Er riss sich zusammen, bis Emira
schlief. Die war an dem Abend wie aufgedreht und verschaffte mir eine lange
Gnadenfrist, ehe ich mitten in der Nacht schreiend aus der Wohnung stürzte und
in heilloser Angst mit den Fäusten an die

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