Flucht in die Hoffnung
Tür unserer Vermieter schlug, die
über uns wohnten. Erschrocken wurde ich eingelassen. Ich konnte Farid nicht
mehr schützen, alles sprudelte aus mir heraus, und mit zunehmender Verwunderung
hörten mir der Vermieter und seine Frau zu, die beide gut Englisch sprachen,
sodass ich endlich einmal alles loswerden konnte.
Mein Vermieter führte ein Gespräch mit Farid. Das Resultat war, dass
Farid mir daraufhin kein Geld mehr gab, obwohl er reichlich verdiente. Ich war
vollkommen abhängig von ihm. Meine Omas konnte ich nicht um Geld bitten, ich
hatte sie in den vergangenen Jahren schon genug strapaziert, und außerdem waren
sie der Meinung, dass ein Mann für den Lebensunterhalt seiner Familie aufkommen
musste. Diese Meinung teilte ich, doch es half mir nichts.
Farid erklärte mir, wenn ich wie eine richtige Tunesierin sein
wollte, müsste ich lernen zu haushalten. Eine richtige Tunesierin, eine
ehrenhafte Frau, keine Schlampe, würde nahezu alle Nahrungsmittel selbst
herstellen, nichts fertig kaufen. Als ob ich ihm jemals Fertigprodukte serviert
hätte!
»Das ist im Übrigen auch billiger«, schloss er.
»Aber wir haben doch jetzt Geld«, begehrte ich auf.
Farid zog ein dickes Geldbündel aus seiner Hosentasche und zählte
davon drei Scheine ab, überlegte es sich, reichte mir zwei.
Fassungslos starrte ich auf die schmuddeligen Lappen.
»Das sollte für die nächste Woche genügen«, bestimmte Farid.
»Aber das ist nichts!«, rief ich. »Wie soll
ich damit einkaufen!«
»Eine tunesische Frau kommt damit aus«, erwiderte er und entfernte
sich zu einer Konsultation in einem Sternehotel, in dem das Bündel in seiner
Hand wieder um einiges dicker werden würde, womit er weiterhin in den
schicksten Boutiquen Desingnerklamotten für sich kaufen würde. Ich konnte ja
nähen lernen. Stoffe waren in Tunesien günstig. Auch an Secondhandkleidung
herrschte kein Mangel. Eine tunesische Frau kam mit sehr wenig Geld zurecht.
Ich bettelte nicht um mehr Geld. Stattdessen würde ich Farid
beweisen, dass ich uns auch mit wenig Geld ernähren konnte, selbst wenn ich von
morgens bis tief in die Nacht in der Küche stehen musste.
Wenn ich alle paar Wochen auf Kosten meiner Omas, die Emira
sehen wollten, nach Deutschland flog, erholte ich mich von den Strapazen meines
Lebens in Tunesien. Wie ich mich wirklich fühlte, behielt ich jedoch für mich
und spielte dabei das gleiche Spiel wie Farid. Er legte Wert darauf, unser Bild
in der Öffentlichkeit makellos erstrahlen zu lassen; ich war nicht anders und
tröstete mich damit, dass ich meine Omas nicht beunruhigen wollte. Die Leute,
auf deren Meinung Farid Wert legte, waren mir längst egal und ihm im Grunde
genommen auch, so vermutete ich. Sie waren nur wichtig, weil er ihren Einfluss
ausnutzen wollte.
Farid förderte meine Besuche in Deutschland, von ihm aus hätte ich
noch öfter fliegen können, weil ich ihm die dringend benötigten Gegenstände für
seine Praxis mitbringen konnte. Bis kurz vor meinem Abflug schrieb er lange
Listen, die mich in Deutschland beschäftigt hielten. Gewissenhaft kümmerte ich
mich um jede Kleinigkeit, setzte meinen ganzen Ehrgeiz ein, um Farid nicht zu
enttäuschen.
Emira war von Deutschland begeistert. Staunend entdeckte sie die
Unterschiede zu Tunesien, und gelegentlich lachte ich Tränen, wenn sie mich an
ihren Beobachtungen teilhaben ließ.
Einmal saßen wir im Bus vom Flughafen zu meiner Oma; Emira war bald
drei Jahre alt und konnte gut sprechen. Aufmerksam schaute sie sich die Leute
im Bus an. Die meisten starrten vor sich hin oder schauten aus dem Fenster, wie
es eben so üblich ist in Deutschland – völlig anders als in Tunesien, wo sich
überall jeder mit jedem unterhält.
Emira fragte mich: »Mama, können die Menschen in Deutschland
eigentlich auch sprechen?« Ja, sie konnten, wie sich
herausstellte, und sie konnten sogar lachen, denn Emiras Vermutung sorgte für
einen Heiterkeitsausbruch.
Nach zwei, drei Tagen Aufenthalt, diesmal saßen wir in der
Straßenbahn, die wie immer multikulti besetzt durch die Stadt rumpelte, wollte
Emira wissen: »Mama, gibt es in Deutschland auch Deutsche?«
Das wurde weniger lustig gefunden.
In der U -Bahn betrachtete meine Tochter
interessiert die knallrot lackierten Fingernägel einer lesenden Frau. Als ein
Mann mit Aktenkoffer neben ihr Platz nahm, fragte sie mich: »Mama, wieso hat
der Mann keine lackierten Fingernägel?«
Emiras Blick bereicherte mich. Ja, so konnte man die Welt auch
sehen,
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