Flucht in die Hoffnung
Monaten hatte
ich einen deprimierten, blassen Mann zum Flughafen gebracht, nun strahlte mich
ein braun gebrannter, ganz in Weiß gekleideter Wüstensohn an. Vor Freude liefen
mir die Tränen übers Gesicht. Warum waren wir nicht längst auf die Idee
gekommen, zurück nach Tunesien zu gehen! Wie viel Unglück hätte ich mir
erspart!
Kurz darauf musste ich feststellen, dass ich zwar das alte
Unglück in Deutschland gelassen hatte, doch das neue wartete längst auf mich.
Die Wohnung, die mir Farid so fabelhaft angepriesen hatte, lag im Souterrain
und war feucht und dunkel.
»Das ist nur für den Anfang«, beschwichtigte er mich. »Die Wohnung
ist vor allem praktisch, schau, dort drüben befindet sich meine Praxis«, wies
er nach links.
Die Praxis war natürlich wichtiger als die Wohnung, denn in der
Praxis gedachte Farid sich tagsüber aufzuhalten, und dort wollte er Geld
verdienen. Also ging das schon in Ordnung, fürs Erste, hoffte ich, und
bewunderte sein neues Wirkungsfeld gebührend.
Am nächsten Vormittag luden wir den Wagen aus. Die Schildkröte war
gerettet, und auch alles andere war heil geblieben. Dass die Frau vom Arzt, die
jeder gern in Augenschein nehmen wollte, eine Cargohose trug und
unkonventionelle Methoden im Gepäck hatte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer,
und jeder, der es gerade einrichten konnte, schlenderte an uns vorbei, und dann
noch mal und noch mal.
Farid trieb mich zur Eile an. Bestimmt hatte er einen Plan, wie wir
den Tag verbringen würden, dachte ich voller Vorfreude. Vielleicht wollte er
mir die Insel zeigen? Ich war sehr gespannt auf meine neue Heimat.
Ja, Farid hatte einen Plan. Er wollte mit dem Auto einige wichtige Sachen
besorgen, und nein, ich könne nicht mit, da er im Anschluss Patiententermine
habe, und nein, er wisse nicht, wann er zurückkomme. »Aber sicher wird dir
nicht langweilig«, tröstete er mich und wies auf das Chaos rund um das Auto
herum. »Räum doch mal vorne frei, damit ich los kann.«
Ich bemühte mich, mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
Äußerlich gelang mir das, doch im Innern war ich verletzt. Zwei lange Monate
waren wir getrennt gewesen, und unser Wiedersehen auf der Brücke von Zarzis nach
Djerba war so innig gewesen, so heilsam nach all den schmerzlichen Monaten. Ich
zwang mich zur Vernunft. Der Beruf ging vor, sagte ich mir, gerade am Anfang,
wo der neue Herr Doktor seinen Ruf begründete. Ein Arzt im Thalassobereich
brauchte außerdem ein Auto. Wie sähe denn das aus, wenn der Herr Doktor mit dem
Bus einträfe? Es wusste ja niemand, dass er keinen Führerschein besaß, obwohl
ihm meine liebe Oma in Deutschland etliche Fahrstunden finanziert hatte. Er war
durch die Prüfung gerasselt. Mindestens einmal in Deutschland und seither
mehrmals in Tunesien, was kein Mensch ahnen konnte. Überhaupt sah der Herr
Doktor so intelligent und gebildet aus. Smart war er und stets wie aus dem Ei
gepellt. Ein Ferrari hätte ihm gut zu Gesichte gestanden. Ich sollte mich
schämen, ihm nur einen Kleinwagen anbieten zu können.
Während ich all das dachte, war ich mir nicht mal bewusst, welche
Kluft sich zwischen uns aufgetan hatte. Wie kann das passieren … wie kann Liebe
vergiftet werden? Noch immer schwang Hoffnung in mir mit, baute Brücken, die
mit jeder neuen Enttäuschung brüchiger wurden.
Auch am nächsten Tag brauchte Farid das Auto von morgens bis abends.
Zum Glück trafen Emira, die ich schrecklich vermisst hatte, und meine Schwester
Johanna ein, die von Deutschland aus – woher wusste sie, dass die Wohnung nicht
zum Urlauben einlud? – ein Hotel in unserer Nähe gebucht
hatte. Doch Urlaub hatte Johanna keinen: Sie half mir beim Einzug, schleppte
Kisten, räumte sie aus. Viel zu schnell verging die Zeit, und sie flog zurück
nach Deutschland. Jetzt war ich allein.
Bald würde der Winter beginnen, und er konnte auch auf Djerba
empfindlich kalt werden. Ich durfte gar nicht daran denken, wie ungemütlich es
in unserer düsteren Bleibe werden würde. Warum hatte Farid meine Bitte nach
einer sonnigen Wohnung mit Heizung missachtet?
»Mein Bruder hat sich um die Wohnung gekümmert«, rechtfertigte er
sich ungehalten.
Es lag mir auf der Zunge, ihm vorzuhalten, was ich ihm alles auf
seine Bestellung hin aus Deutschland mitgebracht hatte. Nur weil ich mit der
Abarbeitung seiner Listen beschäftigt gewesen war, hatte mir die Zeit gefehlt,
das Auto ordentlich zu beladen. Für manche seiner Wünsche war ich etliche
Kilometer gefahren, nachdem
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