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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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servieren, wenn die Gasflasche leer war und ich kein Geld besaß,
um eine neue zu kaufen? Wie hätte ich mir einen Job suchen sollen, solange
Emira klein war und es niemanden in der Nähe gab, der sich während meiner
Abwesenheit um sie gekümmert hätte – von meinem zerstörten Selbstbewusstsein
ganz zu schweigen?
    Ich war immer weniger geworden. Jetzt hatte ich die Notbremse
gezogen. Endlich würde ich einmal nur an mich und mein Kind denken, dem es in
Deutschland so gut gefiel, dass es nicht wieder wegwollte.
    »Bitte Mama, jetzt bleiben wir da für immer«, sagte sie, viel zu
klein, um zu wissen, was das bedeutete.
    Doch zugleich war es seltsam, wieder zu Hause zu sein. Mein
tunesisches Leben hatte mich Deutschland entfremdet. Zuerst dachte ich, das
würde sich wieder geben. Doch Farid war wie ein Schatten, der über mich fiel
und mich überallhin begleitete. All die Verbote seiner Kultur hatten sich in
mein Denken gebohrt. Alkohol, das ist haram , dachte
ich und machte einen Bogen um Kneipen, die oft schon um die Mittagszeit voll
besetzt waren. Dabei hatte ich Alkohol seit Langem verabscheut, hatte doch
meine Mutter wegen eines betrunkenen Fahrers sterben müssen. Bald sah ich nur
noch Betrunkene um mich herum. Das war albern, und Alkoholkranke verdienten
mein Mitgefühl, aber ich fühlte mich plötzlich so fremd gegenüber all den
Sitten und Gebräuchen hier, über die keiner groß nachzudenken schien. Dass ich
mich daran stieß, lag an der Distanz, die ich nach all den Jahren in Tunesien
zu Deutschland hatte.
    Distanz verschafft einem die Möglichkeit, Gewohntes zu erkennen und
zu hinterfragen. Mit Farid war es so gewesen, erst die Distanz hatte es mir
erlaubt, unsere Ehe in einem klareren Licht zu sehen. Ebenso kritisch wurde
mein Blick nun, was meine Heimat betraf. Und ich spürte die Kehrseite der
Distanz – die mangelnde Eingliederung, die Einsamkeit, die mich plötzlich auch
zu Hause umgab. Die Situation wurde verschärft dadurch, dass ich Hartz- IV erhielt und mich deshalb in Grund und Boden schämte.
Doch wie hätten wir überleben sollen? Was hätten wir essen sollen? Ich fühlte
mich zu dünnhäutig, um zu arbeiten, und ich hätte auch gar nicht gewusst, wo
ich mich bewerben sollte. Wenn Emira zur Schule kommt, werde ich uns ernähren,
nahm ich mir vor. Einerseits sehnte ich mich danach, meinen Platz in der
Gesellschaft zu finden, andererseits spürte ich, wie sehr die Menschen hier
nach ihrer Arbeit beurteilt wurden. In Tunesien fragte man als Erstes, wie
viele Kinder der andere hatte und wo die Familie herkam. Hier hieß es: Und was arbeiten Sie? War es in Deutschland schon immer so
gewesen, oder fiel mir das erst jetzt auf, weil ich nicht mehr richtig
dazugehörte?
    Auch mit der Einstellung der Deutschen zum Essen kam ich nicht
zurecht. In Tunesien dreht sich das ganze Leben ums Essen. Die Nahrung steht im
Mittelpunkt, überall wird über Essen gesprochen. Was kochst
du heute, was kochst du morgen? Als Frau wurde ich in Tunesien darüber
definiert, was ich auf den Tisch brachte, und auch wenn Farid nie zufrieden mit
meinen Kochkünsten war, wusste ich sehr wohl, dass ich mich in all den Jahren
zu einer hervorragenden Köchin gemausert hatte. Ich stellte alles selbst her,
backte sogar die traditionellen Fladenbrote, obwohl mir der Steinofen dazu
fehlte. Es war mir enorm wichtig, die traditionelle Art des Kochens zu
zelebrieren. Meine Einstellung zum Kochen hatte etwas Meditatives, ich versank
völlig in dem, was ich tat. In Tunesien hatte ich all meine Kreativität auf das
Kochen konzentriert und darauf, immer besser zu werden. Wenn ich irgendwo ein
Gericht gegessen hatte, das besser schmeckte als zu Hause, setzte ich alles
daran herauszufinden, woran das lag. Es handelte sich zwar meistens um
dieselben Gerichte – Maccaroni, Couscous, M´lochia, Djebena –, die tunesische
Küche ist nicht sehr abwechslungsreich, doch jedes dieser Gerichte kann auf
tausendundeine Art anders schmecken.
    In Deutschland, so fand ich, wurde selbst gekochtes Essen nicht in
dem Maße wertgeschätzt. Wer kochte denn überhaupt noch! Es wurde zwar über das
Essen und gesunde Ernährung geredet, doch das hatte weniger mit der Zubereitung
zu tun – und mit Zubereitung meine ich nicht nur das Kochen an sich. Wenn ich
in Tunesien beschloss, Huhn zu servieren, suchte ich mir auf dem Markt eines
von den Hühnern aus, die der Händler in einem mit Ästen und Zweigen
zusammengebundenen Käfig mitgebracht hatte, und deutete

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