Flucht in die Hoffnung
wenn Farid
sehr modern eingestellt war, hatte er bestimmt darunter gelitten, mir und
meinen Omas auf der Tasche zu liegen. So etwas schmälert das Selbstbewusstsein.
Und Farid war ein stolzer Mann.
Wenn er mich anrief, klang er euphorisch.
»Alles klappt bestens! Ich habe Räume für die Praxis gefunden, mit
meinem Bruder organisiere ich die Einrichtung – ich bin glücklich, wie sehr
Tarek mich unterstützt.«
»Hast du eine Wohnung für uns?«, fragte
ich, denn das war es, was mich am meisten interessierte.
»Ja. Direkt bei der Praxis.«
»Mit Heizung und hell?«, fragte ich bang
und fügte zur Sicherheit hinzu: »So wie wir es besprochen haben?« In
tunesischen Häusern gibt es gewöhnlich keine Heizung, im Winter schart man sich
fröstelnd um einen kleinen Kohlegrill. Das war nichts für Emira und mich.
Farid lachte mich aus. Wie konnte ich nur eine so dumme Frage
stellen!
Während ich große Teile meines Hausstands und meiner Möbel
verschenkte, kam mir der Gedanke, dass ich mich um die Früchte meiner Arbeit
betrog, indem ich ständig umzog. Nie schlug ich Wurzeln. Ich kam neu an einen
Ort, lernte einige Menschen kennen, begann, wenn auch zaghaft, Beziehungen zu
knüpfen – und dann war ich schon wieder weg. Nur noch einmal, schwor ich mir.
Ein Umzug noch – und dann richtig ankommen und Wurzeln schlagen – und ernten.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf fühlte es sich richtig gut an, Ballast
abzuwerfen und nur mit dem Nötigsten aufzubrechen in eine leuchtende Zukunft.
Das Nötigste füllte meinen Kangoo vom Bodenblech bis zum Dach. Da
wäre kaum Platz für Emira gewesen. Sicher war es besser, ihr die anstrengende
Fahrt im Auto und mit der Fähre zu ersparen. Meine Schwester Johanna würde eine
Woche später mit ihr mit dem Flugzeug nach Djerba reisen. Emira liebte Johanna,
und die kurze Trennung würde sie bestimmt gut verkraften.
Die Schildkröte, die wir in einer Zigarettenschachtel
aus Tunesien herausgeschmuggelt hatten, gedachte ich nun wieder
zurückzuschmuggeln. Heimkehr für alle! Weil zum Schluss die Zeit knapp wurde,
lud ich die Schubladen der Schränke so ins Auto, wie ich sie herausgezogen
hatte. Und los ging’s!
In der Schweiz war der Gotthardtunnel gesperrt. Zu allem Übel fing
es auch noch an zu schneien. Mein Wagen war so überladen, dass ich den Pass im
ersten Gang hochkroch. Die Ladung sauste nach hinten. Bald würde das Auto
umkippen. Ich klebte förmlich an der Windschutzscheibe und flehte mein Auto an:
»Lass mich jetzt bitte nicht im Stich!« Als wir den
Gipfel erreicht hatten, strich ich über das Lenkrad und bedankte mich. »Das
hast du wunderbar gemacht.« Niemals zuvor hatte ich
mit meinem Auto gesprochen! Dann fiel mir ein, dass oben noch nicht unten war.
Doch auch das schafften wir.
Bis Genua ging alles gut, die Überfahrt war kein Problem, obwohl es
zeitlich knapp geworden war durch die Herausforderungen am Berg und der Kangoo
als Letzter an Bord rollte.
In Tunesien erwartete mich die übliche Prozedur beim Zoll.
»Öffnen Sie den Wagen.«
»Wenn ich den jetzt aufmache, dann fliegt alles raus, das sehen Sie
doch selbst, wie mein Hausrat an der Scheibe klebt«, entgegnete ich.
Die Beamten beugten sich vor, als hätten sie es noch nicht bemerkt.
Tütensuppen, Dosenöffner, Besteck, Spaghetti, das Wageninnere war ein einziges
Durcheinander.
»Machen Sie auf!«
»Das da reinzukriegen war Millimeterarbeit!«
Im Nachhinein ist es mir schleierhaft, woher ich den Mut nahm, den
Zollbeamten die Stirn zu bieten. Es lag wohl an meiner überschwänglichen Vorfreude.
Frechheit siegt: Das Auto blieb zu. Ich hätte ganz wunderbar schmuggeln können –
Schildkröten zum Beispiel.
Nach weiteren 500 km Fahrt auf einer einspurigen, gefährlichen
Strecke voller Lkw kam ich auf Djerba an. Djerba ist eine Insel, die man mit
dem Flugzeug, der Fähre oder über eine Landbrücke erreicht. Auf dieser Brücke,
fast genau in der Mitte, fuhren Farid und ich aneinander vorbei. Ich erkannte
ihn nicht, er war in einem geliehenen Wagen unterwegs zu einem Patienten, doch
er erkannte mich natürlich schon in meinem blauen Kangoo und rief mich auf dem
Handy an. Ich parkte am Straßenrand, Farid wendete. Und dann trieben wir ganz
schlimmes Haram : Wir umarmten uns in der
Öffentlichkeit. So schön war ich lange nicht mehr willkommen geheißen worden.
Mein Herz öffnete sich weit für ihn, und beim ersten Blick in seine Augen
wusste ich, dass meine Entscheidung richtig gewesen war. Vor zwei
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