Flucht in die Hoffnung
in
der näheren Umgebung gesorgt hatte.
Was die Zubereitung des Essens betrifft, sind viele Tunesier
phantasielos – und geschmacklich auch eingeschränkt. Sie können sich
beispielsweise nicht vorstellen, dass man eine weiße Sauce essen kann. Eine
Sauce muss immer rot und scharf sein. Niemals kann man eine Sauce mit Mehl oder
Milch zubereiten, denn dies würde beim Essen unausweichlich zu Brechreiz
führen.
Elsa konnte man beim Wachsen zusehen. Jeden Morgen war sie ein
Stück größer als am Abend zuvor. Aus dem niedlichen Welpen wurde ein Hund, und
der wollte sich einen komfortablen Platz in der Hierarchie unseres Rudels
erobern. Dabei war sie als Labrador niemals aggressiv. Sie wollte einfach ihre
Grenzen herausfinden, und da sie sehr intelligent war, fiel ihr allerlei ein,
uns zu testen. Mich amüsierte sie, und ich erklärte Emira genau, wie sie mit
dem Hund umgehen sollte, dass sie die Chefin sei und nicht der Hund.
»Elsa muss tun, was du willst!«
Emira zeigte sich sehr begabt in der Hundeführung, und das
Zusammensein mit dem aufgeweckten Welpen tat ihr sichtlich gut, es stärkte ihr
Selbstbewusstsein. Farid dagegen verstand die Sprache eines Hundes nicht. Was
für Elsa Spiel war, interpretierte er als Ernst. Und obwohl er ein moderner
Tunesier war, war ihm die Vorstellung, ein Tier im Haus zu halten, nicht ganz
geheuer. Und bald schon wendete sich das Blatt. Elsas Aufenthaltsgenehmigung in
unserem Haus erlosch, als Farid von einem Schäferhund gebissen wurde. Auf
einmal galt: Hund ist Hund.
Farid war eingeladen worden in das Privathaus eines Hoteldirektors.
Dort hatte er den unter dem Tisch dösenden Schäferhund nicht bemerkt und sich
in seiner dominanten Art nach lautem Stuhlrücken polternd gesetzt. Der Hund war
wohl aus dem Schlaf hochgeschreckt und hatte zugeschnappt. Farids Hose hing in
Fetzen, und am Oberschenkel blutete er aus einer Fleischwunde. Von diesem
Moment an war sein Verhältnis zu Elsa unwiderruflich zerrüttet. Er hatte Angst
vor ihr, obwohl sie ihm nie etwas getan hatte. Diese Angst gab er natürlich
nicht zu. Er fand andere Gründe, warum sie wegmusste. Haram war einer davon. Die anderen klangen in meinen Ohren ebenso lächerlich. Elsa
war zu groß für unser Haus, Elsa war zu teuer in der Haltung, Elsa kostete zu
viel Zeit, weil man ständig mit ihr Gassi gehen musste.
Für Emira war Elsas Ausweisung ein Schock. Mein kleines Mädchen war
fassungslos, verstört, sie hatte den Hund doch so lieb. Einmal mehr merkte ich,
dass ich mit Farid nicht reden konnte. Dieses »wir«, mit dem ich mich hatte
ködern lassen, war offenbar nichts als eine Farce gewesen. Etwas besprechen und
gemeinsam eine Lösung finden – das gab es nicht für ihn. Was er sagte, war
Gesetz, selbst wenn es Emira fast das Herz brach.
»Ohne Elsa will ich gar nicht mehr lebendig sein, Mama«, sagte sie
zu mir.
»Wir finden eine Lösung«, versprach ich ihr und hatte doch keine
Ahnung, wie die aussehen sollte. Ich konnte den Hund nicht vor Farid
verstecken. Elsa musste unser Haus definitiv verlassen … aber nicht unser
Leben. Ich könnte sie an einen Ort bringen, wo wir sie besuchen würden. Aber wo
sollte es einen solchen Ort geben?
Da erinnerte ich mich an unseren ehemaligen Gemüsehändler Mohamed,
dessen Laden sich gegenüber von Farids Praxis befand, wo wir früher gewohnt hatten.
Dort im Innenhof hatte ich einmal ein paar junge Männer mit einem Hund gesehen.
Vielleicht kannte Mohamed einen Hundefreund? Er war immer so nett zu uns
gewesen und hatte Emira oft Obst geschenkt.
Am nächsten Tag – Farid hatte uns gnädigerweise drei Tage Frist
eingeräumt, es wäre ihm auch zuzutrauen gewesen, dass er Elsa auf der Stelle
des Hauses verwies – besuchten Emira, Elsa und ich den Gemüsehändler, bei dem
ich nur noch selten einkaufte, da wir ja umgezogen waren. Er freute sich sehr,
uns wiederzusehen, strahlte uns an mit seinen ebenmäßigen weißen Zähnen. Mit Händen
und Füßen und meinem noch immer holprigen Tunesisch erklärte ich ihm unser
Anliegen und fragte, ob er jemanden kennen würde, der bereit wäre, Elsa zu
übernehmen.
»Ich«, sagte Mohamed.
Ich starrte ihn an. Emira klatschte begeistert in die Hände. Zwar
erinnerte sie sich nicht wirklich an Mohamed, dazu war sie zu klein gewesen,
als wir gegenüber gewohnt hatten. Doch mit seiner sympathischen Art nahm er sie
gleich für sich ein. Dass er Elsa freundlich die Flanken klopfte, tat ein Übriges.
»Moment«, bat ich Emira, denn ich war mir
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