Flucht in die Hoffnung
den
aufgebrachten Sachbearbeiter zu beschwichtigen, der zu meiner großen
Erleichterung von einer Anzeige absah.
Tagsüber hielten mich alle möglichen Formalitäten beschäftigt,
abends rief ich zu Hause an.
»Mama, wann kommst du?«, fragte Emira.
»Bald«, versprach ich.
»Mama, komm ganz schnell!«
»Ja, sicher, mein Schatz.«
Emiras Stimme klang traurig, was mich zu noch größerer Eile antrieb.
»Hast du schon etwas von dem Hotel gehört?«,
fragte ich Farid eines Abends am Telefon.
»Welches Hotel?«
»Von Tarek! Wo du meine Mappe abgegeben hast.«
»Ach so. Nein, noch nichts.«
Das machte mich nicht misstrauisch, in Tunesien dauert vieles sehr
lang, doch als ich die Mappe einige Wochen später auf Farids Tisch liegen sah,
versetzte mir das einen Stich. Ich fragte ihn allerdings nicht, weshalb er meine
beruflichen Pläne boykottierte. Vielleicht wollte er mir das Arbeiten ersparen,
er verdiente inzwischen ja genug, um seine kleine Familie zu ernähren und auch
der großen Familie hin und wieder etwas zuzustecken, wenn auch nie genug, wie
ich den Andeutungen seiner Mutter entnahm.
Als meine Rückkehr nach Tunesien näher rückte, sprach ich mit Farid
auch über den Hund, den er Emira versprochen hatte und den sie nun – nach
unserer bestandenen »Probezeit« – auch bekommen sollte.
»Es ist besser, du bringst einen Hund aus Deutschland mit«, meinte
Farid. »Hier gibt es ja nur Straßenköter.«
Farid liebäugelte mit einem Rassehund, das würde sein Ansehen weiter
steigern; europäische Hunde waren selten in Tunesien.
Nach gründlicher Recherche entschied ich mich für einen Labrador.
Über diese gutmütige, kinderliebe und aggressionsfreie Rasse hörte ich überall
nur das Beste. Ich besuchte einige Züchter, doch sobald ich mit der Wahrheit
herausrückte, wo der Hund leben sollte, wollte mir niemand einen geben. Die
einen verkauften prinzipiell nicht in ein arabisches Land – einer behauptete
doch glatt: »Araber sind frauen- und hundefeindlich!«
So schnell konnte der Mann gar nicht schauen, wie ich weg war. Anderen war der
Papierkram zu aufwendig, denn Impfungen mussten offenbar rückbestätigt werden.
Wieder andere fanden Tunesien zu heiß für die Rasse, und noch mal andere gaben
nur an solche Plätze ab, die sie auch kontrollieren konnten.
»Dann kommen Sie doch mal in den Urlaub nach Tunesien!«, lud ich einen Züchter ein.
»Gute Frau, wer kümmert sich dann um meine Hunde?«
Die Zeit drängte, und so fuhr ich mit einem Bekannten, der sich
mit Hunden auskannte, nach Belgien und besorgte in einer kleinen Gasse hinter einem
Markt einen achtwöchigen schwarzen Labrador: Elsa. In Deutschland ließ ich sie
vorschriftsgemäß impfen, und im Frühling 2007 brachen wir auf in die alte neue
Heimat.
»Diesmal ist es ein Abschied für immer«, sagte ich zu meiner Oma.
Sie drückte mich fest an sich.
»Hoffentlich«, meinte sie und schob ein »leider« nach. So ging es
mir auch, meine Omas hatten mir in Tunesien jedes Mal sehr gefehlt.
Doch das Ankommen tröstete mich, nie war es so schön wie diesmal.
Farid und Emira standen am Tor und winkten mir entgegen. Emira sah gut aus, fröhlich,
aufgeweckt, und sie hatte sogar ein bisschen zugenommen. Mein Herz öffnete sich
weit für die beiden. Was für ein wundervoller Empfang! Da verzieh ich ihnen
doch gerne, dass Farid sich vor allem für das Auto interessierte, mit dem er
gleich losstarten wollte, und Emira gespannt auf den Hund war. So war sie eben,
meine Familie. Elsa untersuchte ihr neues Revier, lief durch die Zimmer und
schnupperte an allen Ecken und Wänden. Ihre kleine Rute wedelte ohne Unterlass,
und dann kippte sie mitten im Flur um und fiel in einen ohnmachtähnlichen
Schlaf, in dem sie weiterschnupperte und große Abenteuer erlebte, wie wir am
Zucken der niedlichen Pfötchen ablesen konnten.
»Emira, duschen!«, forderte ich meine
Tochter auf, die im Bad in der Unterhose neben mir stand.
Folgsam stieg sie in die Wanne.
»Die Unterhose!«, erinnerte ich sie.
Da wurde ihr Gesicht ernst, und sie schüttelte den Kopf. Verblüfft
starrte ich sie an. Was war denn das? Von der Pubertät war sie noch fast ein
Jahrzehnt entfernt. Sie brauchte sich nicht zu schämen – vor ihrer eigenen
Mutter!
»Wenn man ohne Unterhose duscht, dann kommt der Teufel«, klärte sie
mich auf.
»Bitte was?«
»Ja, dann kommt der Teufel, und der lacht einen aus.«
»Zieh sofort die Hose aus!«
»Nein, Mama«, widersprach sie in echter Bedrängnis.
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