Flucht in die Hoffnung
eine
günstige Gelegenheit, mich erkenntlich zu zeigen.
Mohamed freute sich sehr und übergab die Aufsicht des Ladens seinem
Cousin. Wir verbrachten einen wunderschönen, entspannten Tag am Meer. Hinter
der Sonnenbrille glänzten meine Augen feucht. Wie herrlich das Leben sein
konnte – und wie friedlich.
Emira tobte mit Elsa in den Wellen, Mohamed und ich saßen auf einer
Decke, später teilten wir unseren Proviant, er hatte Obst dabei, ich frisch
gebackene Fladenbrote, F’tira , Salat und Oliven.
Mohamed konnte kaum glauben, dass ich das Brot selbst gebacken hatte.
Wir redeten nicht viel, schauten aufs Meer und sahen Emira und Elsa
beim Spielen zu. So einen schönen Nachmittag gab es jenseits der Mauern meines
goldenen Gefängnisses!
Dass Mohamed so wenig sprach, deutete ich nicht als Verlegenheit.
Ich hielt ihn für einen selbstbewussten Mann und sein Schweigen für Stärke.
Später erzählte er mir, dass ihn meine Gegenwart in Wirklichkeit
eingeschüchtert habe: die deutsche Frau von einem Arzt! Verheiratet!
Für Mohamed war dieses Picknick am Strand verboten. Ein tunesischer
Mann durfte nicht mit einer Frau, schon gar nicht mit einer verheirateten,
einfach so auf einer Decke sitzen. Das tat er nur mit seiner eigenen,
angetrauten Frau, und selbstverständlich würde er Abstand halten. Womöglich
säße er gar nicht mit ihr auf einer Decke, sondern im Kreis der Männer, während
ihr Platz bei den Frauen und Kindern war. So gehörte sich das. Mohamed war sehr
mutig.
Als wir ihn am späten Nachmittag vor seinem Laden absetzten, bat er
mich. »Warte mal.«
Nach kurzer Zeit kehrte er zurück und reichte mir mit einem
verlegenen Lächeln eine Kartoffel in Herzform.
Nach wie vor gab Farid mir sehr wenig Haushaltsgeld und
verlangte Rechenschaft über jeden Dinar. Doch ich hatte einen Notgroschen
zurückgelegt: einen nigelnagelneuen grünen Hunderteuroschein, den mir meine Oma
beim Abschied zugesteckt hatte. Diesen Schein hielt ich vor Farid geheim. Er
war im wahrsten Sinne des Wortes mein Notgroschen, schenkte er mir in meiner
verzweifelten Situation doch ein kleines Stück Unabhängigkeit. Schützte mich
vor den Demütigungen, mir etwas leihen zu müssen. Hundert Euro, das war nicht
viel, damit konnte ich nicht mit Emira zurück nach Deutschland fliegen. Doch
ich könnte den Wagen volltanken und etliche Kilometer zwischen ihn und uns
bringen, durchatmen und dann weitersehen.
Ich hatte mich längst daran gewöhnt, dass er meine Sachen
kontrollierte. Mein Versteck war klug gewählt, doch als ich die Verpackung der
Salbe öffnete, wo ich den Schein in die Gebrauchsanweisung gefaltet hatte, war
er weg. Ich konnte es nicht fassen und durchsuchte den ganzen Arzneimittelschrank,
an den Farid angeblich niemals ging, weil ich ja nichts von Medizin verstand
und auch keine wirksamen Medikamente aufbewahrte, nur Kinkerlitzchen.
Offenbar hatte ich mich geirrt. Als ich den Schein nicht fand,
geriet ich in Panik. Ich musste ihn einfach wiederhaben.
Das Telefon im Erdgeschoss klingelte. Am Klang von Farids Stimme
hörte ich, dass er von einem Hotel angefordert wurde. Wahrscheinlich hatte sich
irgendein Tourist am Büfett überfressen, das kam häufig vor.
Meine Gedanken überschlugen sich. Ich riss meinen Autoschüssel an
mich, rief: »Emira, schnell!«, nahm sie bei der Hand,
und wir rannten die Treppen hinunter. Im Bad rauschte die Toilettenspülung. Wir
schafften es vor Farid nach draußen.
»Emira, schnell, einsteigen!«
Geschmeidig glitt sie neben mich. Ich ließ den Motor an und parkte
meinen Laguna in unserer Einfahrt, womit ich Farids Ford – mittlerweile hatte
er nicht nur ein Auto, sondern auch einen Führerschein – blockierte.
»Fahr weg!«, befahl er mir, während er die
Fahrertür öffnete.
»Gib mir meine hundert Euro zurück!«
»Fahr weg, habe ich gesagt!«
»Du hast mein Geld genommen!«
»Mama!«, schrie Emira panisch.
Mit einem maskenhaften Gesicht stieg Farid in sein Auto, ließ den
Motor an und rammte frontal meinen Laguna. Kreischend wurde Emira nach vorn
geschleudert.
»Bist du wahnsinnig!«, brüllte ich und
meinte es auch so. Niemals hätte ich gedacht, er könne sich derart vergessen
und sein Kind in Gefahr bringen. Warum nur hatte ich sie nicht spielen
geschickt!
Farid legte den Rückwärtsgang ein.
»Mama! Mama!«
»Emira! Runter!« Ich drückte mein Kind nach unten.
Wieder rammte Farid uns und dann noch ein drittes und viertes Mal.
Ich hatte mich schützend über Emira geworfen
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