Flucht in die Hoffnung
»Sonst kommt
doch der Teufel!«
Ich setzte mich an den Rand der Badewanne. »So, dann kommt also der
Teufel und lacht dich aus?«
»Ja!«
»Und was ist so schlimm dran, wenn der einen auslacht?«
Darauf wusste Emira keine Antwort.
»Wenn du mit Unterhose duschst, lacht dich deine Mama aus.«
Ich gab vor, ein Späßchen zu machen, kitzelte Emira, und dann zog
sie die Hose freiwillig aus und behielt sie in der Dusche auch nie wieder an.
Als Farid nach Hause kam, sprach ich mit ihm über den Vorfall.
»Was hat deine Mutter dem Kind erzählt? Ich will nicht, dass Emira
Angst gemacht wird!«
Dies war die einzige Angelegenheit, in der Farid und ich einer
Meinung waren. Farid war ein moderner Tunesier.
Er dachte nach. »Ich habe nichts davon bemerkt«, sagte er dann.
»Meine Mutter hat sie oft gebadet. Natürlich habe ich ihr gesagt, dass sie
Emira keine Ammenmärchen erzählen soll«, verteidigte er sich und zuckte
schließlich mit den Schultern. »Du kennst sie doch. Ich kann nichts dagegen
tun. Das steckt ganz tief drin.«
»Jetzt bin ich ja wieder da«, sagte ich versöhnlich.
Mir war klar, dass Emira ein Kind zweier Welten ist. Deutschland und
Tunesien – beides sind ihre Wurzeln. Doch ich war nicht bereit zuzulassen, dass
sie körperfeindlich erzogen wurde und Angst vor irgendwelchen negativen
Ausgeburten der Phantasie entwickelte.
Am nächsten Tag erfuhr ich, dass der Teufel einem in den Mund
pinkelte, wenn man beim Gähnen keine Hand vorhielt. Als ich herzhaft lachte,
stimmte Emira mit ein. Meine kluge Tochter begriff schnell, was hinter den
Sprüchen ihrer tunesischen Großmutter steckte, und da diese meistens Einschränkungen
bedeuteten, machte sie sich heimlich darüber lustig, auch wenn sie im Beisein
der Großmutter vorgab, daran zu glauben.
In den ersten Tagen nach meiner Ankunft drehte sich unser Leben
um Elsa. Der Hund musste sich an uns gewöhnen, wir mussten uns an den Hund
gewöhnen, was schwieriger war, denn ein Schoßhündchen war Elsa nicht: Sie
forderte ständig Beschäftigung, und sie musste lernen, was verboten war. Schuhe
anknabbern und auf Betten springen, das Schlafzimmer
betreten. Emira liebte Elsa vom ersten Tag an. Farid, der wie so viele Tunesier
Hunde eigentlich nicht mochte, fühlte sich geschmeichelt, wenn Elsa bei unseren
Spaziergängen anerkennend oder gar neidvoll gemustert wurde. Das war kein
tunesischer Straßenköter, der Krankheiten übertrug. Erst kürzlich war in
unserem Viertel wieder mal die Tollwut ausgebrochen, und einer von Farids
Patienten war jämmerlich daran gestorben. Tunesier halten sich meistens fern
von Hunden. Doch Elsa war kein typischer Hund, so was wie sie sah man nicht
alle Tage, das Fell glänzend und gepflegt, keine einzige kahle Stelle, weder
Floh noch Zecke oder Wurm. Deshalb erhielt sie auch eine für Tunesien unübliche
Sondergenehmigung: Sie durfte ins Haus. Ein Hund im Haus galt in diesem Land
als haram . Schmutzig, Sünde. Haram war das Lieblingswort von Farids Mutter, überhaupt wurde es bei gläubigen
Tunesiern ständig ausgesprochen, fast alles war haram .
Schweine, Händchen halten in der Öffentlichkeit, im Badeanzug schwimmen,
Alkohol trinken, kurze Röcke, mit der linken Hand essen oder trinken, lügen.
Es war sogar haram für meine Nachbarin,
Kartoffeln in Wasser zu kochen, wie ich eines Tages erfuhr, als sie mir einige
Kräuter und Gemüse aus ihrem Garten brachte: Petersilie, Lauchzwiebeln,
Selleriegrün. Ich freute mich über das Geschenk und bat sie ins Haus. Da
stapfte sie in die Küche und hob den Deckel eines Topfes, der auf dem Herd
kochte. An diesem Tag sollte es ausnahmsweise kein traditionelles tunesisches
Essen geben, was diese Frau, eine stolze Djerberin in langen Gewändern und
bunten Tüchern, auf dem Kopf den typischen Djerbahut, nur schwer begreifen
konnte. Aber dass ich Kartoffeln in Wasser kochte, nein, das war zu viel!
Kartoffeln wurden wie Gemüse behandelt und in der Sauce gekocht oder frittiert.
Bislang hatte ich alle Anregungen von Einheimischen, was das Kochen
betraf, gern angenommen. Nach wie vor widmete ich jeden Tag unzählige Stunden
der Zubereitung von Mahlzeiten. Doch dieser Auftritt war zu viel. Ich holte
tief Luft und sagte: »Erstens ist das meine Küche. Zweitens koche ich die
Kartoffeln so, wie ich will. Salzkartoffeln werden in Wasser gekocht!«
Mit einem verächtlichen Laut rannte die Nachbarin hinaus, und ich
wusste, dass ich für die nächsten Tage, wenn nicht Wochen für Gesprächsstoff
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