Flucht in die Hoffnung
sicheren
Platz ausfindig gemacht hatte.
»Wir fahren zu jemandem von meiner Familie im Hinterland.«
»Ist das sicher?«
»Da findet dich niemand.«
COUSCOUS IN DER WÜSTE
Mit Emira an der Hand stand ich staunend vor einem kleinen
Lehmhäuschen. Sollte dies mein neues Zuhause sein, Mizraya, eine der
einfachsten Gegenden Djerbas? Hierher verirrten sich keine Touristen. Ein Paar
Ziegen und Schafe zogen Grashalme aus mickrigen Häufchen, die jemand für sie
gesichelt hatte. Gackernd liefen ein paar Hühner zwischen dem Lehmhäuschen und
den »Stallungen« umher – Wellblechhütten, schiefe Zäune, Autoreifen und
Schrott.
Eine Frau lächelte mich an. Wahrscheinlich war sie ein wenig jünger
als ich, doch nach einem entbehrungsreichen Leben voll harter körperlicher Arbeit
wirkte sie um Jahre älter. Ein herzliches Willkommen leuchtete auf in ihrem
faltenreichen, dunklen Gesicht. Rot schimmerten Zähne und Zahnfleisch, sie
hatte Soik gekaut, eine Wurzel, die Parodontose
lindern soll. Letztere ist weit verbreitet in Tunesien; Zahnbürsten gehören
nicht unbedingt zu den täglichen Gebrauchsgegenständen.
»Das ist Khirea«, stellte Mohamed sie mir vor.
Schüchtern lächelte Khirea zuerst mich, dann Emira an, die
schlaftrunken neben mir stand. Die vergangenen Tage waren anstrengend für mein
Kind gewesen. Ich hoffte, sie könnte sich hier ein wenig ausruhen.
Wir folgten Khirea ins Haus, es war winzig klein, die Küche kaum
mehr als eine Kammer. Auf dem Boden standen dicht gedrängt Eimer mit Vorräten.
Öl, gemahlener Paprika, Filfilachma, Couscous, Maccaroni. Neben dem Herd lag
ein schmales Stück Fleisch, von Fliegen übersät.
Plötzlich ertönte Motorengeräusch, das immer näher kam. Ich sprang
auf. Doch Farid wäre niemals auf einem Mobilett gefahren, einem der laut brüllenden Schrotthaufen der einfachen Bevölkerung.
Ein dicker Mann, Kilani, wie er sich mir vorstellte, kam polternd in die Küche.
Ich wunderte mich, weil er überhaupt nicht zu seiner Frau zu passen schien. Sie
so dünn und scheu, er so dick und grobschlächtig. Aber nur äußerlich. Sein
Blick war freundlich.
Khirea servierte Chai Achdaer in den
typischen kleinen Teegläschen.
»Bishfe«, sagte Mohamed.
»Bishfe«, sagte ich.
Mohamed trank sein Glas leer und sagte. »Jechfik.«
»Jechfik«, echote ich, als ich mein Glas leer getrunken hatte.
So saßen wir in der kleinen Küche. Khirea bereitete den Couscous zu.
Es war sehr heiß. Wir redeten kaum. Emira streichelte ein Lämmchen. Auch wenn
dies kaum ein Ort war, an dem eine Europäerin sich normalerweise entspannen
würde, ließ ich los. Hier fühlte ich mich sicher.
Am frühen Abend war der Couscous fertig. Kilani war extra noch
einmal weggefahren, um Lammfleisch, Allouch, zu
holen. Fleisch kam hier nicht täglich auf den Tisch. Dieser Couscous schmeckte
anders, als ich es von Farids Familie gewohnt war, längst nicht so scharf. Im
Norden ist der Couscous oft kaum genießbar für Europäer, die Tunesier im Süden
bereiten ihn mit vielen Gemüsen und anderen Gewürzen zu.
Mit der Wärme des Couscous im Mund überschwappte mich eine überwältigende
Dankbarkeit diesen Menschen gegenüber, die mich aufnahmen und ihr Essen mit mir
teilten. Nach dem Couscous auf dem Schiff war dies der zweite, den ich in meinem
Leben nicht mehr vergessen werde, und es erschien mir plötzlich, als wäre meine
Beziehung zu Farid von zweimal Couscous umrahmt. Ich zweifelte keine Sekunde
daran, dass unser gemeinsames Leben unwiderruflich beendet war.
»Mama, bleiben wir jetzt hier?«, wollte
Emira wissen.
»Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall sind wir in Sicherheit. Du
brauchst keine Angst haben. Hier kann uns der Papa nicht finden.«
Gütig lächelnd schob Khirea Emira den Topf mit dem Couscous zu und
bedeutete ihr, eine zweite Portion zu essen.
Emira sagte auf Tunesisch danke und dass sie satt sei. Das wollte
Khirea nicht akzeptieren und stellte noch ein paar Mandeln, louz, sowie Melonen und Pfirsiche auf den Tisch.
»Shokran«, sagte Emira, und ich schloss mich ihr an.
»Shokran, Khirea.«
Mohamed telefonierte mehrere Male und ließ uns schließlich wissen,
dass wir hier nicht übernachten konnten.
Ich erschrak. »Wegen Farid? Hat er unsere Spur?«
»Nein, es ist zu eng. Wir fahren nach Houmt Souk.«
DER GERICHTSTERMIN
In dem kleinen Städtchen Houmt Souk, der Hauptstadt von
Djerba, empfing uns voller Herzlichkeit ein Cousin von Mohamed, der wie so
viele Hochschulabsolventen in Tunesien
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