Flucht in die Hoffnung
wie ich erhofft hatte, denn wir bekamen Probleme mit der
tunesischen Bürokratie.
Für ein »Ausländerauto« erlosch die Aufenthaltsgenehmigung nach
einem Jahr. Danach hätte ich meinen Renault sechs Monate in Deutschland fahren
müssen, um ihn erneut in Tunesien zu nutzen. Diese Vorschrift hatte ich
missachtet. Wo kein Kläger, da kein Richter. Doch eines Tages stand der Zoll
vor meiner Tür. Ich war mir sicher, dass Farid hinter der Anzeige steckte. Der
Renault wurde für sechs Monate beschlagnahmt, und damit war mein Plan, mit dem
Auto nach Deutschland zu fahren, zunichtegemacht. Ich hatte die verbleibende
Zeit bis zur Geburt nutzen wollen, um die Hintertür zu finden, durch die ich
Emira mitnehmen könnte, denn es musste doch irgendwo eine geben. Und nun musste
ich mich zusätzlich um das Auto kümmern. Die Zeit rann mir wie Sand durch die
Finger. Ich wurde immer dicker und unbeweglicher – und es sah nicht gut aus für
einen Umzug unserer kleinen Familie nach Deutschland, wie wir schließlich
erkennen mussten. Dabei hatte ich unser Nest ja schon vorbereitet mit meiner
Wohnung in Velbert in der Nähe meiner Oma.
Gemeinsam mit Mohamed überlegte ich tage- und nächtelang, wie wir es
schaffen könnten, als Familie alle miteinander nach Deutschland auszureisen.
Emira, Mohamed, ich und unser gemeinsames Kind, das in mir wuchs. Es war klar,
dass es ein Problem mit Emira geben würde.
Ihr Pass lag noch immer in M’Saken – oder im Innenministerium? Wer
wusste das so genau. Passentzug galt in Tunesien als gängige Machtdemonstration,
um die Menschen zu unterdrücken. Und: Wie sollten wir Emira nach Deutschland
bringen, wenn ich allein schon Aufsehen an der Grenze erregte? Sobald mein Pass
in Tunesien durch das elektronische Lesegerät geschoben wurde, leuchtete ein
rotes Licht auf. Es war immer dasselbe. Ich wurde gebeten zu warten, man
sonderte mich ab, einige Male schon hatte ich einen Flug verpasst wegen der
Schikane an der Douane.
Auch diese menschenunwürdige Behandlung, die ich so oft über mich
hatte ergehen lassen müssen, trug nicht dazu bei, meine alte Liebe zu Tunesien
mit neuer Hoffnung zu versorgen. Ich hasste es, wenn mich die anderen Reisenden
anstarrten, als wäre ich eine Terroristin, wenn sie von mir abrückten und über
mich tuschelten. Ich hasste die endlose Warterei, die schließlich in einem Telefonat
mit Tunis endete, von wo aus ich gnädig die Erlaubnis zur Ein- oder Ausreise
erhielt. Ich wurde behandelt wie eine Verbrecherin, aus reiner Willkür, weil Farid
irgendwann einmal eine »Blockade«, wie es hieß, in meinen Papieren beantragt
hatte. Seine Begründung lautete, ich sei eine Ausländerin, die vorhatte, sein
Kind aus Tunesien zu entführen. Wahrscheinlich hatte er nicht mal viel für den
Gefallen der Behörden zahlen müssen. Ich wurde seither nicht so einfach
durchgewunken, sondern Mal für Mal genauestens kontrolliert. Es war undenkbar,
dass ich mit Emira, die ja die Erlaubnis ihres Vaters benötigte, einfach so
ausreisen konnte.
Mohamed wollte anfangs nicht nach Deutschland ziehen. Er konnte es
sich nicht vorstellen, noch einmal neu zu beginnen in einem völlig fremden
Land, weit von seiner Familie entfernt. Doch auch er fühlte sich zunehmend
unter Druck gesetzt und willigte schließlich ein, mich zu begleiten. Da er der
Vater meines ungeborenen Kindes war, würde er – nach der Geburt – mit einem Visum
relativ problemlos einreisen können. Alles, was wir dazu vorlegen mussten, war
das Attest eines Arztes sowie die Vaterschaftsanerkennung, die wir bei der
deutschen Botschaft hinterlegen würden und die das gemeinsame Sorgerecht
beinhaltete.
Auch nachdem wir uns über diese Vorgehensweise einig geworden waren,
hatte Mohamed schwer mit seinem Entschluss zu kämpfen. Am meisten ängstigte ihn
die fremde Sprache, und deshalb begann er noch in Tunesien, wie besessen
Deutsch zu lernen. Dabei sprach er schon recht gut, denn wie die meisten
Tunesier war er überaus talentiert im Erlernen neuer Sprachen. Die Wochen vor
der Geburt waren extrem stressig für uns. Ich würde unser gemeinsames Kind in
Deutschland allein zur Welt bringen, während Mohamed in Tunesien auf sein Visum
warten würde – eine zermürbende Zeit für einen frisch gebackenen Vater, der
sein Kind sehen möchte! Zudem hatten wir sehr unterschiedliche Angaben
erhalten, wie lange das dauern konnte, bis zu mehreren Wochen, hieß es. Wie
einfach wäre es gewesen zu heiraten – doch dann hätte ich Emira verloren,
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