Flucht in die Hoffnung
weil
sie automatisch ihrem leiblichen Vater zugesprochen worden wäre.
Da hatte mein Anwalt eine Idee: »Wie wäre es, wenn wir einen
Ferienaufenthalt für Emira in Deutschland beantragen? Dazu brauchen Sie lediglich
einen tunesischen Pass, keinen deutschen.«
Ich beantragte also einen tunesischen Pass und – o Wunder – bekam
ihn innerhalb eines Tages. Ein gutes Omen? Würden wir es auf diesem Weg
schaffen, Emira legal über die Grenze zu bringen? Einmal Ferien ohne Wiederkehr,
dachte ich insgeheim. Vor Gericht musste ich nicht nur Emiras Pass vorweisen,
sondern auch die Flugtickets, Hin- und Rückflug. Leider stammte der Präsident
des Gerichts aus demselben Ort wie Farid, offenbar war er bestens mit unserem
Fall vertraut. Der Ferienaufenthalt für Emira in Deutschland, um ihre Familie
zu besuchen, wurde abgeschmettert.
Emira war so verzweifelt, dass ich mir große Sorgen um sie machte.
»Mama, ich will nicht mehr nach M’Saken, bitte!«
»Aber mein Schatz, ich kann dich nicht mitnehmen.«
»Mama! Bitte, bitte, bitte nicht nach M’Saken.«
Ich war verzweifelt, meine Tochter so außer sich zu sehen. Dass ich
ihr nicht helfen konnte, dass ich nicht tun konnte, was das Normalste auf der
Welt war. Mutter und Kind gehörten zusammen! Sollte ich meinen Sohn doch in
Tunesien zur Welt bringen? Und dann?
Ich beschloss, alles auf eine Karte zu setzen und die Ausreise
einfach zu riskieren. Bereits am Check-in-Schalter sank mein Mut, obwohl ich
mit Engelszungen auf die Angestellte der Airline einredete, sogar Emiras
Sorgerecht und ihre Geburtsurkunde vorlegte, aus der eindeutig hervorging, dass
ich die Mutter war. Das genügte nicht. Es fehlte die Erlaubnis des Vaters. Ein
Kind mit tunesischem Pass konnte das Land nicht verlassen ohne die Erlaubnis
seines Vaters, genauso wenig wie ein Kind mit deutschem Pass, dessen deutsche
Mutter mit einem Tunesier verheiratet war, das Land verlassen konnte. Nur eine
von dem tunesischen Kindsvater geschiedene deutsche Frau mit einem deutschen
Pass und dem deutschen Pass ihres Kindes hätte ausreisen können.
»Aber Emira ist Deutsche!«
»Und wo ist ihr deutscher Pass?«
»Der liegt beim Innenministerium.«
»Nun, dann zeigen Sie uns die Genehmigung des Vaters.«
So ging es hin und her, und dann startete das Flugzeug ohne uns.
Tränenüberströmt standen wir vor dem Schalter. Ich versuchte Emira
die Situation zu erklären – doch wie sollte eine Siebenjährige das verstehen?
Noch dazu wusste sie, dass ich nun alleine nach Deutschland fliegen musste. Und – wie ich hörte, jetzt gleich, denn: »Entweder Sie fliegen heute noch mit dem
letzten Flug, der in zwei Stunden startet – oder nach Ihrer Entbindung.« Wegen meiner fortgeschrittenen Schwangerschaft hatte ich
ein ärztliches Attest mit dem erwarteten Geburtstermin vorlegen müssen, und
laut den Richtlinien der Airlines galt ich ab dem nächsten Tag nicht mehr als
transportfähig.
Ich rief Farid an und bat ihn, Emira abzuholen. »Ich muss nach
Deutschland, dort will ich mein Kind auf die Welt bringen. Wenn ich heute nicht
fliege, nehmen sie mich nicht mehr mit.«
»Es gibt auch in Tunesien hervorragende Mediziner«, erwiderte er und
legte auf. Als hätte ich mir die leisten können. Als wenn es nur darum gegangen
wäre.
Ich hatte alles auf eine Karte gesetzt und verloren. So saß ich nun
mit meinem dicken Bauch und der weinenden Emira am Flughafen und wusste weder
ein noch aus. Ich konnte Emira nicht zu Mohamed schicken, wollte ich Farid
nicht in die Hände spielen, und bis zum Abflug der letzten Maschine war es
nicht mehr lang. Was noch blieb, war eine Schiffspassage von Tunis nach Genua.
Drei Tage blieben uns bis zur Abfahrt der Fähre, kostbare Zeit mit
Emira. Um nach Tunis zu kommen, brauchten wir ein Auto. Ich mietete einen
Leihwagen und saß auch am Steuer, Mohamed hatte noch keinen Führerschein. Auf
dem Weg zum Schiff brachten wir Emira nach M’Saken. Denn wohin sollte sie
sonst? Sie durfte nicht mit mir ausreisen, Farid hatte sie nicht aufgenommen,
und bei Mohamed konnte sie nicht bleiben. Emira weinte ohne Unterlass, obwohl
wir sie diesmal nicht zu den Großeltern, sondern zu Farids Schwester brachten, wo
es hoffentlich nicht ganz so schlimm für sie sein würde.
Doch es wurde schlimm. Sehr schlimm. Vier Monate lang. Und wir
konnten nichts dagegen tun. Ich konnte meiner Tochter von Deutschland aus nicht
helfen. Es war schrecklich für uns alle. Dieses grauenvolle Gefühl der
Zerrissenheit! Wir gehörten
Weitere Kostenlose Bücher