Flucht in die Hoffnung
arabischen Ländern als Heiratsmarkt.
In dieser Fleischbeschau der nackten Tatsachen suchen Mütter die Frauen für
ihre Söhne aus. Dabei tragen alle nur ihre Unterhose – man möchte ja
schließlich nicht vom Teufel ausgelacht werden!
Eines Tages erhielt ich einen Anruf von der Polizeistelle
M’Saken, ich könne den deutschen Pass von Emira abholen. Erleichtert nahm ich
die weite Fahrt auf mich. Doch als ich nach dem Pass griff, den mir ein
Polizist reichte, zog er ihn zurück und wedelte damit höhnisch vor meinem
Gesicht herum.
»Sie glauben tatsächlich, ich gebe Ihnen das Dokument? Und was
machen Sie dann, hä?«
Ratlos zuckte ich mit den Schultern.
»Ich weiß genau, was Sie dann machen«, behauptete er. »Ausreisen
wollen Sie.« Mit seiner rechten Hand imitierte er ein
Flugzeug, das schräg in die Luft stieg.
»Aber ich wohne in Tunesien. Hier befindet sich mein
Lebensmittelpunkt«, erwiderte ich.
»Ja, ja«, grinste er schmierig.
»Und außerdem wissen Sie doch selbst«, führte ich aus, »dass mir der
Pass allein nicht genügt. Wenn ich mit meiner Tochter ausreisen will, brauche
ich zusätzlich die Genehmigung ihres Vaters.«
»Sicherer ist es, wir behalten den Pass. Nicht, dass Sie auf dumme
Gedanken kommen!«
»Ich möchte mit Ihrem Vorgesetzten sprechen.«
Er telefonierte und ließ mich dann wissen, das Gericht in Sousse
habe die Passaushändigung untersagt.
»Ich schicke den Pass Ihrer Tochter zum Innenministerium. Dorthin
können Sie sich wenden.«
Vor Empörung bebend verließ ich die Polizeistation. Ich war tausend
Kilometer umsonst gefahren! Den Weg zum Innenministerium, das war mir klar,
konnte ich mir sparen. Diese Behörde war im ganzen Land als korrupt bekannt.
MANDELN UND HONIG
Nazima und Farid heirateten 2009. Wenn Emira ihre Sonntage
bei ihrem Vater verbrachte, sprich bei seiner Frau, die nun die Stelle der
Hotelanimateure einnahm, und sie dort das Haus verließ, zog Nazima ihr ein
Kopftuch über. Nazima hielt sich streng an die muslimischen Gebräuche und
richtete ihren ganzen Ehrgeiz auf Emira, aus der sie eine würdige Muslimin
formen wollte, Sonntag für Sonntag. So bewies Nazima, dass sie eine gute
Ehefrau war, die die Versäumnisse ihres Gatten, der sich um Emiras religiöse
Erziehung noch nie zufriedenstellend gekümmert hatte, ausbügeln würde – von
meinen Versäumnissen ganz zu schweigen. Wenn Emira zurück zu mir kam, versuchte
ich auszubügeln, was Nazima angerichtet hatte. So wurde Emira wider Willen zum
Schlachtfeld eines Religionskrieges.
Mohamed verdiente nicht viel und lange nicht genug, um unseren
Lebensunterhalt zu bestreiten, doch das war mir egal. Geld machte mich nicht
glücklich, das wusste ich nun und sah es am Beispiel Farids nur bestätigt: Geld
verdarb den Charakter. Überhaupt hatte in Tunesien das Geld einen Stellenwert,
den ich in dieser Form von Deutschland her nicht kannte. Die allgegenwärtige
Korruption hatte eine Kluft in die Gesellschaft gerissen. Ich sollte beim
Innenministerium wegen Emiras Pass vorsprechen? Ohne eine großzügige Summe Bestechungsgelder
wäre das nichts als eine Farce. Mehr noch, eine Demütigung. Und die konnte ich
langsam, aber sicher nicht mehr ertragen.
Mit Mohamed war ich glücklich, weil er so ein wunderbarer Mensch
war. Doch auf einmal kam mir in Tunesien alles so anstrengend vor. Überall
musste ich kämpfen. Nichts funktionierte einfach so. Alles war schwierig. Ich
war des ewigen Kämpfens müde.
Durch Mohameds Freunde erlangte ich einen neuen Blickwinkel auf das
Land und seine Probleme. Ich erkannte, wie viele Menschen arbeitslos waren und
wie sehr sie darunter litten. Zumeist waren es junge Männer, die nicht aus
Faulheit den ganzen Tag irgendwo herumhingen, sondern weil niemand ihrer
Arbeitskraft bedurfte. Ob Hilfsarbeiter oder Hochschulabsolvent – sie wurden
nicht gebraucht. Was war das für ein Land, das seine Jugend dergestalt
verschwendete?
Es kam mir vor, als würde ich endlich aufwachen: Ich entdeckte den
sozialen Notstand in Tunesien. Und bald sah ich nur noch Not. Erkannte, wie schwierig
sich das Leben für junge Menschen hier gestaltete. Überall herrschte
Geldknappheit; junge Paare, beide berufstätig, wussten nicht, wovon sie Miete,
Strom und Lebensmittel bezahlen sollten. Und wenn sie heiraten und eine Familie
gründen wollten, mussten sie darauf verzichten nach dem Motto: Pech gehabt, das
kannst du dir nicht leisten. Das durfte doch nicht sein!
Ich selbst war nicht unmittelbar von dieser
Weitere Kostenlose Bücher