Flucht in die Hoffnung
Flughafen ab. Mohamed
war außer sich vor Freude. Trotz der unglaublichen Spannung, jetzt gleich
seinem Kind zum ersten Mal zu begegnen, begrüßte er mich, ehe er sich Elias
zuwandte.
»Hallo!«, sagte der Vater dann zu seinem
Sohn. Seine Augen schimmerten feucht.
Für Mohamed war nicht nur die Vaterrolle neu, alles war neu für
ihn. Das Land, die Sitten und Gebräuche, die Winterkälte, die Sprache,
Blaukraut, Rheinischer Sauerbraten mit Knödel. Ich dachte mir manchmal, dass er
nun in jener Position war, in der ich vor vielen Jahren in Tunesien begonnen
hatte. Doch er ging anders damit um. Ich bin eher abenteuerlustig und muss
heute nicht schon einen Plan für morgen schmieden. Ich lasse die Dinge auf mich
zukommen und entscheide spontan. Mohamed bevorzugt Sicherheit. Einmal stellte
ein Freund grinsend fest, dass Mohamed besser zu Deutschland passe als ich. Da
ist was dran!
Meine Großmütter nahmen ihn auf wie einen Sohn, und sein
zuvorkommendes, fürsorgliches Wesen machte es ihm leicht, sich schnell einzugewöhnen.
Zudem ist er sehr intelligent, und er wollte alles wissen und lernte nicht nur
die Sprache, sondern auch die deutschen Sitten und Gebräuche in einem
beachtlichen Tempo.
In den ersten drei Monaten seines Aufenthalts durfte er noch nicht
arbeiten, so konnte er sich ganz seinem Sohn widmen – und den Vokabeln. Das
Herz ging mir auf, wenn ich Mohamed und Elias miteinander kuscheln sah. Dann
fiel mir Emira ein. Und das tat weh. Doch nicht mehr lange, mein tapferer
kleiner Schatz, nicht mehr lange!
Mohamed war knapp zwei Wochen in Deutschland und Elias sieben Wochen
alt, da flog ich schon wieder nach Tunesien, denn für Emira begannen die
Ferien. Im Bus war sie ohne Begleitperson die 500 Kilometer zu ihrem Vater
gefahren. Ich durfte mir nicht ausmalen, was unterwegs hätte passieren können.
Wie hatte Farid das zulassen können!
Am verabredeten Treffpunkt holte ich sie ab und fuhr mit ihr in
unsere Wohnung, die ich behalten hatte. Emira freute sich riesig über ihr
Brüderchen. Ganz genau wollte sie wissen, wie man mit einem Säugling umgeht,
und jauchzte jedes Mal, wenn die Windel voll war, weil sie ihn dann wickeln
durfte. Irgendjemand in Deutschland hatte mich gewarnt, dass Emira eifersüchtig
sein könnte. Ich beobachtete sie aufmerksam und stellte nichts dergleichen an
ihr fest. Vielleicht war der Altersunterschied von sieben Jahren auch zu groß.
Emira war begeistert von ihrer neuen Rolle als große Schwester.
Auf einmal hatte ich eine Glückssträhne. Alles, was wir anpackten,
gelang uns. Ich glaubte fest daran, dass wir es irgendwie schaffen würden, gemeinsam
als Familie zu leben. Schon nach kurzer Zeit vermisste ich Mohamed, und es tat
mir leid, dass er erneut von Elias getrennt war. Doch ich stillte das Baby ja
noch. Wenn meine Sehnsucht zu groß wurde, überlistete ich mich selbst, indem
ich mir einredete, dass dies der allerbeste Integrationskurs für ihn wäre: kaum
zehn Tage in Deutschland und schon allein. Nun ja, nicht ganz: Meine Oma
mütterlicherseits hatte ihn unter ihre Fittiche genommen. Ich konnte mir keinen
besseren Platz vorstellen, ich hatte ihn selbst schon oft genug genossen. An
einem Sonntagvormittag rief ich bei meiner Oma an und ertappte die beiden beim
Sektfrühstück!
Ich rechnete es Mohamed hoch an, dass er mir kein schlechtes
Gewissen machte und mich voll und ganz unterstützte, dass ich die Zeit mit
Emira verbringen wollte. Nicht nur was sie betraf, waren wir einer Meinung. Ich
versuchte ihn mit einzubeziehen, mitreisen zu lassen, indem ich ihm Fotos
schickte. Besonders viel fotografierte ich bei seinen Eltern, die ich mit Elias
und Emira besuchte. Wieder raste die Zeit nur so, und auf einmal stand der
Abschied von der Tür.
Emira war tapfer. Sie wusste, dass das sein musste. Sie wusste, dass
ich alles mir Mögliche unternahm, um sie nach Deutschland zu holen. Wie immer,
wenn ich sie verließ, blutete mir das Herz.
Zurück in Deutschland bereitete Mohamed sich auf seinen
Integrationskurs vor. Ich staunte, wie gut er nach dem Volkshochschulkurs schon
Deutsch sprach. Es sollte nicht mehr lange dauern, und er amüsierte sich über
die Comedy-Sendungen im Fernsehen.
Ein Highlight war es für Mohamed, Post zu bekommen. Es begeisterte
ihn, wenn sein Name auf einem Brief stand. Briefe zu erhalten ist in Tunesien
nicht üblich, da kommt eher ein Bote und gibt einen Zettel ab, ohne
Briefumschlag. Mohamed fühlte sich durch den Postweg als Mitbürger akzeptiert
und
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