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Flucht in die Hoffnung

Flucht in die Hoffnung

Titel: Flucht in die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tina Rothkamm
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doch zusammen!
    Stundenlang grübelte ich über Farids Verhalten nach. Ich hatte ihm
doch nichts getan, ganz im Gegenteil, ich hatte jahrelang versucht, ihm alles
recht zu machen. Weshalb bestrafte er mich so gnadenlos, und nicht nur mich,
wieso bestrafte er seine Tochter, um die er sich zudem nicht im Geringsten
kümmerte? Wäre er der Vater gewesen, den er in den Nobelhotels gerne für zehn,
fünfzehn Minuten vorspielte, hätte ich das alles vielleicht verstanden. Doch er
interessierte sich nicht wirklich für Emira. Er interessierte sich lediglich
dafür, sie von mir fernzuhalten, dachte ich. Aber warum? Warum tat er das?
Warum ließ er mich nicht endlich in Ruhe! Alles, was ich mir wünschte, war
Frieden.
    Doch selbst als Schiffspassagierin wurde ich in Tunis bei der
Passkontrolle massiv unter Druck gesetzt und bekam Panik, nicht an Bord
gelassen zu werden. Obwohl ich hochschwanger war, behandelte man mich rücksichtslos,
als das rote Licht wie zu erwarten aufleuchtete. Keiner der Beamten begegnete
mir freundlich oder zeigte Mitgefühl. Mein Traum vom schönen Leben in Tunesien
war nun endgültig geplatzt. Ich war hart auf dem Boden der Realität gelandet.
    Durch den Stress hatte ich ständig leichte Wehen. Ich betete, dass
das Kind keine Geburt auf hoher See anstrebte. Doch wenigstens an Bord meinte
das Schicksal es gut mit mir: Ich teilte mir die Kabine mit zwei tunesischen
Krankenschwestern, die in Italien arbeiteten. Sie beruhigten mich und schenkten
mir Sicherheit. Und ich hatte noch einmal Glück. Ein älterer Herr, den ich
zufällig kennenlernte, bot mir an, mich in seinem Auto bis nach Kassel mitzunehmen.
Von da war es nicht mehr weit nach Velbert. Dort wartete ich auf die Geburt.

BRÜDERCHEN UND SCHWESTERCHEN
    Alles, was wir wollten, war zusammen sein … und waren doch
jeder für sich allein: Emira in M’Saken, Mohamed auf Djerba und ich in
Deutschland. In Gedanken und im Herzen fühlten wir uns in all der Zeit innig
verbunden, und doch lastete die Trennung auf uns.
    Emiras Schicksal belastete mich schwer, da ich wusste, wie streng
sie in M’Saken gehalten wurde. Immer wieder hatte ich sie auf der langen
Autofahrt vor meiner Abreise ermutigt: »Du bist stark! Du wirst das schaffen!« Ich war überzeugt davon, dass mein Kind seine Klugheit
einsetzen würde, um diese Zeit der Entbehrungen zu meistern, und richtete
Emiras angeschlagene Zuversicht in unseren sonntäglichen Telefonaten wieder
auf. »Emira, halte noch eine Weile durch! Bald sind wir zusammen!«
    Auch über Facebook kommunizierten wir. Bald schon würde ich hier
Fotos von Elias, ihrem Brüderchen, einstellen! Einerseits freute ich mich über
die technischen Möglichkeiten, die uns die Zeit der Trennung erleichterten,
andererseits dokumentierten sie, wie verrückt unsere Welt war. Das neugeborene
Baby würde seinen Vater und seine Schwester nicht sehen, riechen, fühlen,
hören, schmecken können. Da war es von Vorteil, dass Elias die liebe
Verwandtschaft erst mal egal sein würde, Hauptsache Mama und Milch. Aber für Mohamed
und Emira, die sich so sehr auf ihr Brüderchen freute, war das traurig, sehr
traurig.
    Bei jeder Untersuchung in den letzten Wochen meiner Schwangerschaft
wurde betont, dass das Kind besonders gut genährt sei. Die von Hebammen
geleitete Geburt verlief ohne Komplikationen, dauerte aber lang bei diesem
Wonneproppen. Danach blieb ich noch eine Woche im Krankenhaus und erholte mich.
Ich bekam häufig Besuch von meiner Familie. Alle waren hin und weg und stimmten
überein: »Elias ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten!« Ich bat meine Schwester Johanna, mich in der zweiten
Hälfte des Wochenbetts zu begleiten. Wir verbrachten eine sehr schöne und
intensive Zeit miteinander. So nah waren wir uns lang nicht mehr gewesen, und
Johanna absolvierte einen Schnupperkurs in Säuglingspflege.
    Sie half mir auch dabei, alle nötigen Unterlagen für das
Ausländeramt zusammenzustellen, damit Mohamed schnellstmöglich zu uns nach
Deutschland kommen konnte. In ihrer gewissenhaften Art war sie mir eine große
Stütze, da ich nach Elias’ Geburt oft ziemlich erschöpft war. Ich war sehr gespannt,
welche Persönlichkeit in dem kleinen Elias steckte, der jetzt schon deutlich
zeigte, dass er wusste, was er wollte: Trinken! Mehr!
    Obwohl mir die Zeit bis zu Mohameds Ankunft unerträglich lang
erschien, verging sie dann doch wie im Flug, und in der ersten Dezemberwoche,
rund fünf Wochen nach Elias’ Geburt, holten wir ihn am

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