Flucht Ins Chaos: Ein Pip& Flinx-Roman
Verfügung gehabt. Aber er rannte nicht zum Luftgleiter zurück, um sie zu holen. Er befürchtete, etwas zu versäumen. Daher blieb er stehen und schirmte seine Augen mit der rechten Hand so gut wie möglich ab. Ihm fiel auf, dass auch Takuuna den Blick gelegentlich abwenden und sich Wasser aus seinen scharfen Augen wischen musste.
Zu Tausenden stiegen die Barrunou aus ihren Nischen und Nistplätzen innerhalb der Schlucht auf. Nicht viel größer als eine offene Hand, wurden sie von einem einzelnen Gassack getragen, der sich mitten aus ihrer Rückenpartie herauswölbte. Schlank und abgeflacht, farblich von einem streifigen hellen Braun bis zu einem fleckigen Hellblau rangierend, besaß jedes Individuum einen Kranz von Zilien, die seine große Mundöffnung säumten. Mit diesen, erklärte Takuuna, tasteten die Barrunou die Felsen und Pflanzen auf der Suche nach winzigen Gewächsen ab, von denen sie sich ernährten. Hinter dem mit Zilien gesäumten Mund wölbte sich ein Paar winziger, aber wachsamer Augen. Obgleich sie nicht auf Stielen saßen wie die Augen der Vssey, verfügten die der Barrunou trotzdem über einen großen Bewegungsspielraum. Sie konnten zwar nicht nach hinten blicken, hatten aber dennoch ein weites Gesichtsfeld. Die leisen, wohlklingenden Zwitscherlaute, die sie von sich gaben, klangen wie eine Kreuzung zwischen dem Piepsen eines jungen Vogels und dem Fiepen einer aufgeregten Maus. Er ertappte sich dabei, wie er unkontrolliert grinste.
Es war jedoch nicht ihre Gestalt oder ihre mannigfaltige Färbung, die sie zu auffälligen Erscheinungen machte, sondern die mit Gas gefüllten Säcke, die ihnen Auftrieb verliehen. Anders als die Flugsäcke der verschiedenen Luftbewohner, die Flinx bis zu diesem Moment gesehen hatte, waren die Säcke der Barrunou nicht hellbeige, gelb oder türkisblau. Stattdessen waren sie mit winzigen irisierenden Schuppen bedeckt, die die Strahlen der aufgehenden Sonne einfingen und in alle Richtungen reflektierten. Dabei waren die Reflexe weder statisch noch berechenbar, sondern fluktuierten abhängig davon, wie sich die Barrunou bewegten oder ihre Gassäcke aufblähten oder zusammenzogen.
Es war, als ob eine Million faustgroßer kugelförmiger Spiegel aus der Tiefe der Schlucht aufstieg und in allen Farben des Regenbogens schillerte. So strahlend war das Leuchten, so intensiv das Schimmern dieser Masse, dass es auch die Winkel und Nischen der Schlucht erhellte, die noch nicht von den morgendlichen Sonnenstrahlen erreicht wurden.
Seite an Seite beobachteten Mensch und AAnn schweigend dieses Schauspiel, tief in Gedanken versunken und verzaubert von dieser Luftprozession, die vor ihren Augen stattfand. Pip hingegen ignorierte das Spektakel. Sie hatte etwas Kleines und appetitlich Riechendes gefunden, das sich zwischen den Steinen versteckte, und setzte ihre speziellen Fähigkeiten als Giftschlange ein, um es aus seinem Versteck herauszufischen.
Unterdessen stiegen die Tausende leise zwitschernder, kugelförmiger lebendiger Spiegel immer höher in den Morgenhimmel auf und begannen dabei, sich mit Hilfe einer östlichen Briese zu zerstreuen. Am Abend, erzählte Takuuna, drehte der Wind in diesem Teil der Provinz Qwahl-Dihn und brachte die gesättigten und müden Barrunou wieder zurück zu ihrer schützenden Schlucht.
»Die spiegelblanken Schuppen, die ihre Flugssäcke bedecken, haben ssich nicht zum Vergnügen von Schaulustigen wie unss entwickelt«, setzte der AAnn seine Erklärung fort. »Das Individuum lockt mit diessen blinkenden Schuppen Paarungsspartner an. In ihrer Gesamtheit dienen die Schuppen dazu, angreifende Fleischfresssser zu verwirren. Wie es für Raubtiere typisch issst, sso gibt es einss, den Wulup, dass eine Methode entwickelt hat, um diesse gemeinschaftliche Verteidigungssstrategie wirkungssvoll zu unterlaufen.«
»Und wie geschieht das?« Flinx stellte fest, dass er seine Augen immer noch abschirmen musste, um die allmähliche Auflösung des Barrunou-Schwarms verfolgen zu können.
Takuuna fuhr mit einer klauenbewehrten Hand über sein Gesicht. Das gab Flinx die Gelegenheit, die feinen Gravuren zu betrachteten, die in die Knöchelschuppen der Finger seines Führers geritzt worden waren. »Durch die Verwendung spezieller Chromatophoren hat der Wulup die Fähigkeit, sseine Augendeckel wenn nötig zu verdunkeln oder aufzuhellen. Dass gesstattet ihm, die Barrunou zu verfolgen, ohne geblendet zu werden. Und ssie werden auch noch von anderen Raubtieren gejagt.«
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