Flucht Ins Chaos: Ein Pip& Flinx-Roman
über einen unbegrenzten Giftvorrat, und der Giftsack in ihrem Mund war leer, als die beiden überlebenden Hasaladu entschieden, dass die essbare Beute auf dem Felsenabsatz keine weitere Auseinandersetzung mit der kleinen, superschnellen Kreatur wert war. Sie blähten ihre Luftsäcke zu vollem Umfang auf, bogen ihre steifen Tragflächen so weit wie möglich nach unten und stiegen senkrecht zum Himmel, wobei sie ihren verwundeten Kameraden zurückließen, der sein Leben mit einem letzten Zucken auf dem Felsen aushauchte.
Völlig erschöpft, hatte Pip nicht einmal mehr genügend Kraft, um zu ihrem bewusstlosen Meister hinabzufliegen. Indem sie ihre Flügel ausbreitete, schaffte sie es gerade so eben, nach einem kurzen Segelflug auf seiner Schulter zu landen. Mit halb offenem Mund, sodass die Zunge aus einem Winkel heraushing, bemühte sie sich, überschüssige Körperwärme abzuleiten. Obgleich sie ihre Flügel zusammengefaltet hatte, konnte sie keine bequeme Haltung einnehmen. Das hatte zweifellos damit zu tun, dass sie keinen sicheren Sitz finden konnte, ganz gleich wie sehr sie die Windungen ihres Körpers verrenkte. Diese andauernde wacklige Position versetzte sie jedoch keineswegs in Unruhe, sondern löste ganz im Gegenteil einen inneren Impuls überschwänglicher Heiterkeit aus. Sie zwang sich, ihre Flügel auszubreiten, und erhob sich lange genug in die Luft, um zur Seite zu flattern.
Unter ihr erwachte Flinx aus seiner Bewusstlosigkeit.
5
Sein Kopf tat weh. Nein, korrigierte er sich, alles tat ihm weh. Er bezweifelte, dass er die Art von Koordination von angeschlagenem Hirn und zerquetschen Muskeln aufbringen konnte, die es ihm ermöglichen würde, sich aufzusetzen. Die Anstrengung ließ den Schmerz an einer besonderen Stelle seiner Stirn flammend auflodern. Wimmernd betastete er sich und spürte das abgeschürfte Fleisch. Als er sich die Finger vor die Augen hielt, sah er, dass sie mit einer klebrigen, fast getrockneten Mischung aus Sand, Schmutz und einem rötlichen Material bedeckt waren. An seinem Handgelenk hing ein zerschmettertes Armband. Was hatte es für einen Zweck? Seltsamerweise fiel ihm nicht einmal der passende Name dafür ein. Als sich seine Gedanken langsam wieder in Bewegung setzten, stellte er fest, dass er sehr viele andere Dinge ebenfalls nicht benennen konnte. Nicht einmal sich selbst.
Wer bin ich?, fragte er sich. Je klarer sein Kopf wurde, desto mehr wich der Schmerz, der jeden seiner Körperteile zu durchdringen schien, völliger Verwirrung. Wo bin ich? Was ist das für ein Ort? So sehr er sich auch anstrengte, so fand er doch nur eine große graue Leere an der Stelle, an der sich dieses Wissen eigentlich hätte befinden sollen. Zwar fühlten sich viele Dinge in seiner Umgebung vertraut an, aber er konnte ihnen keine Namen zuordnen. Er wusste beispielsweise, was ein Felsen war, doch als er seine durcheinander geratenen Gehirnwindungen nach dem entsprechenden Wort dafür durchforstete, fiel es ihm einfach nicht ein. Instinktiv spürte er, dass er eigentlich alles über Felsen wusste. Er konnte sie nur nicht beim Namen nennen. Er glaubte sogar zu wissen, was mit ihm los war, aber auch dieser Begriff kam ihm nicht in den Sinn, ebenso wenig wie die Erinnerung daran, wo er sich befand oder woher er gekommen war.
Ein Aufwallen starken Mitgefühls erfüllte ihn. Als er sich nach dessen Ursprung umsah, starrte er auf eine außergewöhnlich gefärbte, zusammengerollte Gestalt herab. Er erkannte sie nicht. Aber sie war ihm freundlich gesinnt. Das konnte er spüren, obgleich er nicht in der Lage war, die Kreatur zu identifizieren. Geschlitzte grüne Augen blickten zu ihm hinauf, als würden sie um eine zusätzliche Geste des Erkennens bitten. Da er nicht wusste, was er sonst tun sollte, ließ er zu, dass sie auf seinen Schoss glitt. Dort ringelte sie sich freudig zusammen, und Wogen der Zufriedenheit drangen auf seinen verwirrten Verstand ein, was die beruhigende Wirkung eines sanften Streichelns über die Wange hatte. Zwar konnte er die Kreatur, die ihm offenbar sehr nahe stand, dadurch auch nicht besser einordnen - aber immerhin fühlte er sich gleich viel besser.
Er saß eine Zeit lang so da, starrte in die Schlucht zu seinen Füßen und beobachtete die seltsamen fliegenden Wesen, die in der gewaltigen Felsspalte hin- und herschwebten. Nicht eines davon konnte er benennen, auch nicht die wenigen, robusten Gewächse, die neben ihm auf dem Vorsprung oder weiter unten wuchsen. So sehr er
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