Flucht Ins Chaos: Ein Pip& Flinx-Roman
sich auch anstrengte, kein einziger Name fiel ihm ein.
Ist das meine Heimat?, fragte er sich. Nein, das konnte nicht sein. Heimat war etwas Gemütliches, dessen war er sich sicher. Und gemütlich war es hier definitiv nicht. Also musste sein Zuhause irgendwo anders sein. Zuhause. Wenigstens hatte er endlich einen Namen für etwas.
Durst. Das war noch etwas, das er benennen konnte. Er brauchte Wasser. Als er sich erhob, schwang sich die fliegende Kreatur, die auf seinem Schoss gedöst hatte, in die Luft, verließ ihn jedoch nicht. Stattdessen schoss sie nach oben, kam wieder nach unten, flog erneut hoch und stürzte wieder zu ihm herab. Da er keine Ahnung hatte, wo er sich befand oder was er als Nächstes tun sollte, erschien es ihm vernünftig, dem einen Wesen zu folgen, das ihm Zuneigung entgegenzubringen schien. Er zwang die angeschlagenen Muskeln, seine Knochen in Bewegung zu setzen, und begann zu klettern. Bei dieser Aktivität musste er sich wenigsten nicht mit der erschreckenden Leere auseinandersetzen, die seinen Kopf erfüllte. Er hätte lieber den leichteren Weg nach unten genommen, aber er konnte keinen begehbaren Pfad in diese Richtung entdecken. Allem Anschein nach befand sich unter ihm nichts als nackter Fels. Also blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als den Weg nach oben einzuschlagen und sich mit den Fingern schürfend und scharrend mit dem unnachgiebigen Stein abzugeben.
Einmal stieß er auf eine Stelle, vor der er glaubte kapitulieren zu müssen. Nur vereinzelte Risse im Stein durchzogen die glatte Felswand, die seinen Aufstieg zu verhindern drohte. Vorsichtig und gar nicht mal sicher, ob er wirklich wusste, was er da tat, zwängte er seine aufgekratzten und mit blauen Flecken übersäten Finger in enge Spalten, rammte seine Stiefel in Vertiefungen, die zu schmal schienen, um sein Gewicht überhaupt zu tragen, und bahnte sich den Weg weiter nach oben.
Interessant, sinnierte er, während er sich mühsam auf den nächsten Sims zog, offenbar weiß ich, wie man klettert. Bin ich vielleicht sogar eine interessante Person?
Er kam sich nicht besonders interessant vor - eher hatte er das Gefühl, dass der Tod hinter ihm herkletterte, wenngleich dieser offenbar etwas langsamer war als er. Oder geduldiger. Ihm wurde klar, dass er nicht nur wusste, wie man klettert, sondern auch, was der Tod war, und beschloss ohne genauere Analyse, die Bekanntschaft mit Letzterem so lange wie möglich hinauszuzögern.
Dann - völlig unerwartet - zog er sich am nächsten Vorsprung hoch, nur um festzustellen, dass dies nicht bloß ein Sims, sondern der Rand der Schlucht war. Keuchend und mit zerrissener, zerfetzter Kleidung voller Schweiß und getrocknetem Blut saß er da und blickte hinunter in die Kluft, die sich vor ihm erstreckte. Er kannte die Namen der blasenartigen Kreaturen nicht, die über dem gewaltigen, schattenverhangenen Abgrund hin- und herschwebten. Einige sahen auf prächtige, schillernde Art schön aus. Beim Anblick anderer musste er grinsen. Und einige der größeren und stärkeren ermordeten auf methodische Weise etliche der kleineren und schwächeren - meist still, aber zuweilen auch mit lauten Geräuschen. Keine kam in seine Nähe.
Am Rand der Schlucht befand sich niemand außer ihm und der geflügelten, fliegenden Kreatur, die offenbar nicht vorhatte, ihn zu verlassen. Als sie sich erneut auf seinem Schoss zusammenrollte, begann er, ihren Hinterkopf zu streicheln. Sie streckte ihre schönen, blau und rosa gefärbten Flügel weit aus und schien vor Vergnügen zu erschauern.
Woher weiß ich, wie man das macht?, fragte er sich. Die Kreatur war ihm offensichtlich sehr zugetan. Da war es nur wahrscheinlich, dass er sie ebenfalls irgendwie gern hatte. Verloren wie er war, inmitten physikalischer wie mentaler Einsamkeit, tat es gut, einen Freund an der Seite zu haben - selbst wenn dieser weder Beine noch Stimme, dafür aber Schuppen hatte.
Er fragte sich, ob das Wesen wohl einen Namen hatte. Doch obwohl er seinen Geist zermarterte, konnte er sich nicht erinnern. An der Stelle, an der sich die Information hätte befinden müssen, fand sich nur das diffuse Vakuum, das er bereits kannte. Was immer sein Gedächtnislager auch enthalten haben mochte, derzeit war es leer.
Das war nicht das Einzige, was ihm Sorgen bereitete. Er hatte immer noch großen Durst. Daher stand er auf, um seine Umgebung in Augenschein zu nehmen. Es wurde dunkel. Als er diesen Zustand angestrengt analysierte, wurde ihm klar, dass die
Weitere Kostenlose Bücher