Flucht Ins Chaos: Ein Pip& Flinx-Roman
verfügte.
Es waren nicht alle anwesend. Während ihn Chraluuc in die Mitte der geräumigen Kammer leitete, versuchte Flinx, diejenigen zu benennen, die abwesend waren. Bezeichnenderweise entsprach die Teilnahme nicht unbedingt der Parteilichkeit. Einige der AAnn, die in der Kammer waren, hatten seine Anwesenheit hier mit Güte oder zumindest Toleranz aufgenommen. Bei anderen ging er eher davon aus, dass sie nicht damit einverstanden waren oder ihn sogar verabscheuten. Dennoch waren etliche der Letzteren anwesend, offenbar stolz auf ihre Fähigkeit, persönliche Gefühle zugunsten des Ordens beiseite schieben zu können.
Auf Chraluucs Bitte hatte er Pip zurückgelassen, die nun in ihrem Zimmer schlief. Ohne die fliegende Schlange auf den Schultern und am Hals fühlte er sich nackt - was nicht wirklich überraschend war, da er keinerlei Kleidung trug. Er schämte sich dessen nicht und war überzeugt, dass ihm Nacktheit noch nie peinlich gewesen sei, allerdings fühlte er sich eindeutig verletzlicher. In einem Raum voller entblößter Klauen und scharfer Zähne war er praktisch wehrlos. Nicht dass die einfache Kleidung, die er normalerweise trug, ihm großen Schutz gegen einen Angriff gewährt hätte, erst recht nicht, wenn er von so vielen und aus allen Richtungen erfolgt wäre. Wenn er diese Sache durchziehen wollte, dann musste er den Mitgliedern des Ordens vertrauen - das war ihm schon in dem Moment klar gewesen, in dem ihm Chraluuc diese Sache vorgeschlagen hatte. Er musste ihr vertrauen.
Einander anstoßend und sich leise zuzischend beäugten ihn die versammelten Künstler mit unverhohlener Neugier. Bevor er in ihrer Mitte aufgetaucht war, hatten nur wenige von ihnen je einen der berüchtigten Weichhäuter gesehen. Und keiner von ihnen dürfte je einen unbekleideten erblickt haben. Flinx konnte die verschiedensten Gefühle um sich herum wahrnehmen, von abgestumpfter Gleichgültigkeit bis hin zu aufrichtigem Abscheu bei seinem Anblick. Doch ob sie nun einverstanden waren oder nicht, so hielten doch alle ihre Gefühle im Zaum.
Obwohl viele AAnn anwesend waren, mit denen er bisher kaum ein paar Worte gewechselt hatte, erkannte er jeden von ihnen. Schließlich lebte er schon lange genug im Orden, um sie vom Sehen her zu kennen. Über ihn wussten sie natürlich alle Bescheid, er war kaum zu übersehen.
Das Ssemilionn der Ssaiinn näherte sich. Als das Triumvirat der Ältesten eintrat, wandten ihm alle den Rücken zu. Chraluuc verließ ihn, um ihren angemessenen Platz im Zirkel einzunehmen. Worte wurden gezischt. Flinx spürte, wie zahlreiche Schwanzspitzen seinen Körper berührten. Das Gefühl war nicht unangenehm, und doch war er angespannt. Unabhängig vom Alter ihrer Besitzer hätten ihn dieselben ledrigen Gliedmaßen, die ihn nun liebkosten, auch sehr leicht bewusstlos schlagen können.
Sie taten es nicht. Nachdem sie Zeugnis abgelegt hatten, schlossen sich die Mitglieder des Ssemilionns ebenfalls dem Zirkel an. Ein Moment der Stille hing so schwer in der Luft, als wäre es ein Stoß aus zum Schweigen gebrachten Trompeten.
Dann prallte etwas gegen seinen Körper. Es tat weh.
Als er an sich herabsah, erkannte er, dass ihn ein Klumpen aus schillernder Farbe getroffen hatte. Er hing an seiner Hüfte und drehte und wand sich wie eine Linie aus lebendig gewordenem Neon, das seiner Röhre entwich. Etwas anderes erwischte ihn am Hinterkopf. Er griff nach oben und zog mit stöhnen den Ocker bedeckten Finger wieder zurück. Der Klang passte zur Farbe. Sein Blick suchte ein freundschaftliches Gesicht im Kreis und fand sofort dasjenige Chraluucs. Sie machte mit der einen Hand eine Geste der Beschwichtigung ersten Grades. Mit der anderen bewarf sie ihn mit etwas Hellem und Grünem, und zwar so schnell und präzise, dass er sich nicht mehr ducken konnte. Es traf seinen linken Arm, und seine Wurzeln wickelten sich rasch um seinen Ellenbogen, um sich dort festzusetzen. Da keimte in ihm die Erkenntnis.
Er wurde von Kunst angegriffen. Jedes Mitglied des Ordens konfrontierte ihn mit einer Variante seines speziellen Schaffensgebietes. Dabei hatten sie nicht vor, ihn zu verletzen oder zu verwunden. Das sich an ihn klammernde Schimmern, der stöhnende Ocker, die sich festsetzende, sorgfältig genährte Pflanze: All das sollte sich zu einer einzigen Komposition vereinen, mit ihm im Mittelpunkt. Er wurde nicht zu einer Kunstform, sondern zu geformter Kunst.
So biss er die Zähne zusammen, ließ die Arme locker an den Seiten
Weitere Kostenlose Bücher