Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
Sie schicken."
"Wenn Ellen nicht in London angekommen ist, wo kann sie dann sein?" fragte Joshua Bradley entsetzt. "Was ist mit dem Kutscher, der sie nach Exeter bringen sollte?"
"Er ist spurlos verschwunden", antwortete Mary McKinnon. "Auf Rowland Manor heißt es, Ellen sei wegen einer Krankheit nach Italien geschickt worden." Sie reichte Mr. McHatton den Brief des Arztes, damit er ihn selbst lesen konnte. "Und es ist noch etwas, Mr. Bradley", wandte sie sich direkt an Joshua. "Ihre Eltern sind nicht mehr auf Rowland Manor. Wie Doktor Morstan in Erfahrung bringen konnte, sind sie in der Nacht nach Ellens Flucht ebenfalls verschwunden."
"Der Duke of Rowland hat ihnen mit dem Armenhaus gedroht, sollte Ellen auch nur an Flucht denken", sagte Joshua bestürzt.
"Das sieht meinem Cousin ähnlich", bemerkte Mary McKinnon. "Ich gehe jede Wette ein, daß Ellens Flucht verraten worden ist. Entweder hält man sie auf Rowland Manor gefangen, oder man hat sie weggebracht. Es wäre nicht das erste Mal in dieser Familie, daß ungebotsmäßige Familienmitglieder in einer Anstalt untergebracht werden."
Joshua Bradley sprang auf. "Ich kehre sofort nach Cornwall zurück", sagte er. "Ich werde den Duke of Rowland zwingen, mir zu sagen, wo Ellen und meine Eltern sind."
"Immer mit der Ruhe, Joshua." Mr. McHatton war ebenfalls aufgestanden. Er legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter. "Unüberlegtes Handeln bringt hier nichts. Ich kann Sie zwar sehr gut verstehen, doch was nützt es, wenn Sie der Herzog verhaften läßt? Und dazu kommt es gewiß, wenn Sie sich auf Rowland Manor sehen lassen. Nein, Sie dürfen nicht nach Cornwall reisen."
"Da kann ich Mr. McHatton nur beipflichten, Mr. Bradley", meinte Mary McKinnon. "Ich werde meinen Gatten fragen, ob er jemanden kennt, der die Nachforschungen nach Ellen und Ihren Eltern übernehmen kann."
"Das ist nicht nötig, denn mir ist die richtige Person für diese Aufgabe eingefallen", sagte Arthur McHatton. "Ich kenne einen Detektiv in Bristol. Er hat bereits einmal für mich eine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit gelöst. Ich werde mich noch heute telegrafisch mit ihm in Verbindung setzen."
"Und mir bleibt nichts, als zu warten?" fragte Joshua Bradley. "Immerhin geht es um meine Eltern, die Frau, der mein Herz gehört, und um mein Kind."
"Momentan sind Ihnen leider die Hände gebunden, junger Freund", antwortete sein Arbeitgeber. "Bitte vertrauen Sie uns. Sie werden schon bald Ihre Lieben in die Arme schließen können."
* * *
Der Winter hatte Kälte und vereinzelt auch Frost nach Cornwall gebracht. Dichte Nebelwolken ließen an diesem Weihnachtstag kaum den Garten erkennen, der im Innenhof des ehemaligen Klosters lag. Lady Ellen stand am offenen Fenster ihrer Kammer und starrte hoffnungslos in die Nebelschwaden, die durch das eiserne Gitter in ihr Zimmer drangen. Von jenseits des Gartens ertönten schaurige Schreie. Eine befehlsgewohnte Frauenstimme brachte sie zum Ersticken.
Fröstelnd zog die junge Frau den Schal, der um ihre Schultern lag, fester zusammen. Es war weniger die Kälte, die sie frösteln ließ, als die Angst vor der Zukunft. Wie schützend legte Ellen eine Hand auf ihren Leib. Sie spürte das Kind bereits. Seine Ärmchen und Beinchen stießen gegen sie.
Sie drehte sich nicht um, als sie hörte, wie der Riegel vor ihrer Kammertür zurückgeschoben wurde. "Guten Morgen und schöne Weihnachten, Miss Ellen", sagte eine Stimme hinter ihr. "Sie sollten nicht am offenen Fenster stehen. Eine Erkältung würde Ihrem Kind schaden." Die Pflegerin stellte das Tablett, das sie mitgebracht hatte, auf dem Tisch ab, schob Ellen zur Seite und schloß das Fenster. "Wann werden Sie endlich vernünftig?" fragte sie nicht einmal unfreundlich. "Es hat keinen Sinn, mit dem Schicksal zu hadern. Essen Sie. In einer halben Stunde werden Sie zum Gottesdienst abgeholt." Sie verließ die Kammer und verriegelte die Tür.
Ellen starrte auf das Tablett. Es gab Orangensaft, eine Tasse Tee, Porridge und ein Stück Früchtekuchen statt des üblichen Brotes. Sie lachte bitter auf, als sie den Tannenzweig bemerkte, der das Tablett schmückte. Glaubte man wirklich, sie könnte sich unter diesen Umständen an einem weihnachtlichen Tannenzweig erfreuen?
Obwohl Ellen keinen Hunger hatte, saß sie Porridge und Früchtekuchen. Sie mußte für ihr Kind bei Kräften bleiben. Nur der Gedanke an das kleine Wesen, das in ihr wuchs, hielt sie aufrecht. Joshuas Kind! Wie sehr wünschte sie sich, daß
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