Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
sie. Trotz der Versicherung ihrer Großmutter, ihnen zu helfen, machte sie sich Sorgen um sie. Ihr Vater würde sich an ihnen rächen, da war sie sich sicher. Wie gern hätte sie mit ihnen über ihre Flucht gesprochen. Ihre Großmutter hatte ihr davon abgeraten. "Jetzt geht es erst einmal um dich und dein Kind", hatte sie gesagt.
Mein Kind! Lady Ellen stand im Nachthemd vor dem bodenlangen Spiegel ihres Kleiderschranks. Tief in Gedanken hob sie es an und betrachtete ihren Leib. Sie war dicker geworden, daran gab es keinen Zweifel. Zaghaft legte sie eine Hand auf ihren Bauch. Es erschien ihr wie ein Wunder, daß in ihr ein kleines Wesen heranwuchs. Bereits jetzt liebte sie es von ganzem Herzen. Joshuas und ihr Kind...
Es klopfte.
Erschrocken ließ Ellen die Hände sinken. Sie wandte sich der Tür zu. "Ja, bitte!" rief sie.
Eines der Hausmädchen tat mit einem Tablett, auf dem eine Tasse Tee stand, ins Zimmer. Es knickste. "Guten Morgen, Lady Ellen", sagte es. "Ich hatte nicht erwartet, daß Sie schon auf sind."
"Noch nicht sehr lange, Elise", antwortete sie. "Bitte stell den Tee auf den Nachttisch."
"Soll ich Ihnen beim Ankleiden helfen?"
"In einer halben Stunde." Ellen wies zur Fensterfront. "Du kannst die Vorhänge zurückziehen."
Elise tat, wie ihr geheißen. "Wie kahl die Bäume schon sind", bemerkte sie. "Mrs. Mason meint, daß wir dieses Jahr einen frühen Winter bekommen." Sie wandte sich der Tür zu, knickste erneut und ging hinaus.
Ellen setzte sich auf das Bett. Sie griff nach der Teetasse. Wenn der Winter hereinbrach, würde sie bereits in Schottland sein, da war sie sich sicher. Es konnte nicht mehr lange dauern und sie würde die weite Reise nach Schottland antreten. Ein langer, kalter Winter erwartete sie in den Highlands, dennoch würde sie nicht frieren. Joshuas Liebe würde die Kälte vertreiben.
Wie jeden Sonntag fuhren sie nach dem Frühstück zur Kirche. Von ihrem Platz aus blickte sie zu der Bank, in der Kate Bradley saß. Die Frau hob den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich ihre Augen. Ellen war sich sicher, daß Joshuas Mutter ihr zugelächelt hatte. Sie nahm es als ein gutes Zeichen.
Als sie nach dem Gottesdienst die Glück- und Segenswünsche der Dörfler entgegennahmen, ließ das junge Mädchen direkt vor Kate Bradley sein Taschentuch fallen. Wie erwartet, bückte sich Joshuas Mutter und hob das Taschentuch auf.
"Bitte, Lady Ellen", sagte sie und reichte ihr das Taschentuch.
"Danke, Mrs. Bradley. Ellen steckte es rasch in die Tasche. Sie hätte jubeln können vor Freude. Ganz deutlich hatte sie den zusammengefalteten Brief gespürt, den ihr Joshuas Mutter zusammen mit dem Taschentuch übergeben hatte.
Kaum waren sie auf Rowland Manor angekommen, eilte sie zu ihrem Zimmer hinauf. Bis zum Lunch war noch Zeit, deshalb konnte sie es wagen, den Brief sofort zu lesen. Hastig brach sie das Siegel auf. Als sie den Briefbogen auseinanderfaltete, fielen ihr ein paar verschrumpelte Rosenblätter entgegen. Sie sammelte sie auf und legte sie unter ihr Kopfkissen.
"Meine einzig Geliebte", schrieb Joshua, "du kannst Dir nicht vorstellen, wie glücklich es mich macht, dich schon bald in meine Arme schließen zu können. Lady Mary und ihr Gatte haben mit mir gesprochen. Sie freuen sich darauf, dich aufnehmen zu können. Mein Arbeitgeber, Mr. McHatton, wird meine Eltern einstellen. Er ist gewillt, uns alle nötige Hilfe zuteil werden zu lassen. Meine Eltern wissen inzwischen, daß sie ein neues Zuhause in den Highlands erwartet. Ein Freund Mr. McHattons, der auf dem Weg nach Exeter gewesen ist und Ihnen auch den Brief an Dich übergeben hat, hat es ihnen mitgeteilt. Bitte komme sobald es geht nach Schottland. Ich zähle die Stunden, bis wir uns wiedersehen. Für immer Dein, Joshua."
Gleich nach dem Lunch suchte Ellen ihre Großmutter auf. Lady Georgina gab ihrer Pflegerin eine Stunde frei. Ihre Gesellschafterin besuchte an diesem Nachmittag ihre Familie und wurde erst für den Abend zurückerwartet.
"Du scheinst gute Nachrichten erhalten zu haben, Ellen", meinte die alte Dame, als sie die strahlenden Augen ihrer Enkelin bemerkte. "Hat dir Joshua Bradley geschrieben?"
Das junge Mädchen nickte und las ihr seinen Brief vor. "Wann werde ich nach Schottland fahren können?" fragte es. "Wenn ich daran denke, daß ich dich verlassen muß, wird mir das Herz schwer, doch bei dem Gedanken, Joshua wiederzusehen, würde ich am liebsten gleich aufbrechen. Ist das sehr schlimm?"
Die
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