Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
mit ihrem Geld, dem Schmuck und den meisten ihrer anderen Sachen abgenommen worden.
Jemand machte sich an dem Riegel vor ihrer Tür zu schaffen. Die junge Frau drängte sich in die äußerste Ecke der Kammer. Erst vor einigen Tagen war ein Pfleger nachts in die Kammer einer der Frauen eingedrungen. Die Schreie der Frau dröhnten noch immer in ihren Ohren.
Die Tür sprang auf. Aus dem Gang drang Licht in die Kammer. Sie sah eine große, dunkle Gestalt. Erschrocken hielt sie eine Hand vor den Mund.
"Ellen?"
Ellen ließ die Hand sinken. Es konnte nicht sein! Sie träumte, ja, es konnte nur ein Traum sein!
"Ellen?"
Die junge Frau schluckte. "Joshua?" fragte sie fast lautlos. "Joshua, bist du es wirklich?"
Joshua Bradley trat in den Raum. Ellen fiel ihm in die Arme. Sie schmiegte sich an ihn, wollte ihn nicht mehr loslassen. "Wir müssen gehen, bevor jemand kommt", sagte er leise. "Ich glaube zwar, daß alle Pfleger und Pflegerinnen in der Halle sind, aber vielleicht macht jemand einen Kontrollgang."
"Dann warst du es doch in der Kirche. Also habe ich mich nicht geirrt." Sie klammerte sich noch immer an ihn.
"Ellen, bitte", drängte er. "Wir müssen so schnell wie möglich dieses Gefängnis verlassen."
Ellen riß sich zusammen. Sie nahm ihren Umhang vom Nagel hinter der Tür. "Meine Schuhe." Eilig zog sie sich im Dunkeln die Schuhe an. Nach wie vor konnte sie kaum glauben, daß Joshua gekommen war, um sie von hier wegzubringen. Wenn es ein Traum war, so wollte sie nie wieder erwachen.
Joshua spähte in den spärlich von Petroleumlampen erleuchteten Gang. "Komm", flüsterte er. Ellen schlüpfte an ihm vorbei. Sorgfältig verriegelte er hinter ihr die Tür.
Die Musik und der Lärm aus der Halle verschluckten alle anderen Geräusche. Joshua nahm Ellens Hand. Er lief mit ihr zur Treppe zum Innenhof. Erst als sie durch eine unabgeschlossene Tür ins Freie traten, spürte Ellen die Kälte der Nacht. Trotz ihres Umhangs fror sie.
Durch den ehemaligen Kreuzgang gelangten sie in die Kirche. Rechts und links der Krippe brannten Kerzen. In ihrem Licht gingen sie durch den Mittelgang, stiegen an seinem Ende zur Empore hinauf und betraten den Turm.
"Sei vorsichtig", warnte Joshua. "Die Treppe ist steil und glatt." Er ging vor ihr, um sie mit seinem Körper abfangen zu können, falls sie stolperte.
Ellen hielt sich mit beiden Händen am Handlauf fest. Licht gab es im Turm nicht. Es kam ihr vor, als würde sie sich durch eine endlose Dunkelheit tasten. Dennoch spürte sie keine Angst. Joshua war bei ihr. Er würde nicht zulassen, daß ihr etwas passierte.
Endlich hatten sie das Ende der Treppe erreicht. Joshua schob den Riegel vor der Tür zurück, nahm Ellens Hand und führte sie ins Freie.
"Wo sind wir?" fragte sie und schaute die Straße entlang, die im Mondlicht vor ihnen lag.
"Außerhalb von Saint Michael's Abbey", antwortete er. "Nur noch ein kurzes Stück und wir sind in Sicherheit."
Eilig liefen sie die Straße entlang. Schon nach wenigen Minuten tauchte vor ihnen eine schwarze, von zwei Rappen gezogene Kutsche auf. Der Kutscher sprang vom Bock und eilte ihnen entgegen. "Guten Abend, Mylady", grüßte er und nahm seinen Hut ab. "Machen wir, daß wir von hier verschwinden."
Geborgen im Dunkel der Kutsche lagen sich Joshua und Ellen in den Armen. Erst jetzt konnten sie ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Noch waren sie zwar nicht in Sicherheit, doch mit jeder Meile, die sie hinter sich brachten, ließen sie die Gefahr weiter zurück.
Erst nach einer Weile fragte die junge Frau: "Wie hast du mich gefunden, Joshua?" Sie erzählte, wie man sie in der Nacht, in der sie von Rowland Manor geflohen war, nach St. Michael's Abbey entführt hatte.
Joshua berichtete von dem Detektiv, den sein Arbeitgeber mit den Nachforschungen nach ihr und seinen Eltern beauftragt hatte. "Mr. Mayfield hat den Kutscher ausfindig gemacht, der dich nach Exeter bringen sollte. Er stammt aus einem kleinen Fischerdorf und hatte zum Glück keine Ahnung, um wen es sich bei dem Mann handelte, der ihn beauftragt hatte, dich eine Stunde nach Mitternacht vor dem Parktor von Rowland Manor abzuholen. Dr. Morstan hatte den Sohn seiner Köchin mit der Nachricht zu ihm geschickt. Der Kutscher verriet deinen Fluchtplan deinem Vater, der ihn darauf beauftragte, dich nach Saint Michael's Abbey zu bringen. Mit dem Geld, daß er von deinem Vater bekam, ging er nach Bristol."
Der junge Mann zog Ellen fester an sich. "Wir wußten schon seit drei Wochen wo du
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