Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
kehren Sie heim." Er griff nach dem Arm seines Sohnes. "Joshua, ich flehe dich an, sei du wenigstens vernünftig. Möchtest du, daß deine Mutter und ich ins Armenhaus kommen?" Er blickte sich ängstlich um. "Woher willst du wissen, ob uns James Green nicht beobachten läßt?"
Joshua löste sich von Ellen. "Mein Vater hat Recht, Darling, du solltest gehen", sagte er. "Du wirst von mir hören. Du..." Er nahm sie ein letztes Mal in die Arme. "Ich werde Tag und Nacht an dich denken. Du wirst immer bei mir sein."
Ellen klammerte sich an ihn. Sie wollte ihn nicht loslassen. Wenn sie jetzt ging, konnte es Jahre dauern, bis das Schicksal sie wieder zusammenführte. Nur die Angst, die Samuel Bradley im Gesicht stand, ließ sie vernünftig werden. "Du wirst alle Zeit in meinem Herzen sein, Joshua", versprach sie und küßte ihn auf den Mund, drehte sie sich um und rannte in die Nacht.
Joshua blickte ihr nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Er spürte kaum, wie sein Vater ihn am Arm ergriff und zurück ins Haus zog.
* * *
Die nächsten beiden Monate wurden für Lady Ellen zu einem einzigen Alptraum. Es dauerte fast vier Wochen, bis endlich ihr Zimmerarrest aufgehoben wurde und sie sich frei im Haus bewegen konnte. Im Park durfte sie sich jedoch nur in der Gesellschaft von Abigail Cooper aufhalten, der es Freude machte, sie mit moralischen Vorträgen zu quälen. Wann immer Ellen konnte, flüchtete sie sich zu ihrer Großmutter, der einzigen, die sie verstand.
"Ich war siebzehn, als ich mich in den Hauslehrer meines Bruders verliebte", gestand Lady Georgina ihr unter vier Augen, als sie am frühen Nachmittag vor Ellens erstem Ball zusammensaßen. "Edward Pelly war ein gutaussehender junger Mann. Wir trafen uns ab und zu heimlich im Gartenpavillon. Edward beschwor mich, mit ihm fortzugehen, leider fehlte mir der Mut dazu. Also gab ich meine Einwilligung zur Ehe mit deinem Großvater." Sie seufzte auf. "Dein Großvater war kein schlechter Mensch, doch die Meinung einer Frau galt in seinen Augen nichts. In diesem Sinn ist auch dein Vater erzogen worden. Ich konnte nicht sehr viel Einfluß auf ihn nehmen."
"Du bist nicht sehr glücklich mit deinem Gatten gewesen, nicht wahr, Großmama?"
"Wir haben uns arrangiert", antwortete die alte Dame diplomatisch.
"Lieber gehe ich in ein Kloster, als einen Mann zu heiraten, den ich nicht liebe!" stieß Ellen hervor. "Ich werde mich nicht zu einer Heirat zwingen lassen."
"Gegen den Willen des Duke of Rowland würde dich kein Kloster aufnehmen, Ellen, dazu kommt, daß du nicht katholisch bist. Du solltest nicht die Macht und den Einfluß deines Vaters unterschätzen. Quinn Victoria gibt sehr viel auf seinen Rat." Lady Georgina drückte die Hand ihrer Enkelin. "Wäre ich nur nicht so krank. Vielleicht könnte ich noch etwas bewirken, so jedoch... Ich bin eine alte, nutzlose Frau."
"Sag so etwas nicht, Großmama", bat Ellen. "Ohne dich würde ich verzweifeln." Liebevoll küßte die Hände der alten Dame.
Einige Stunden später wurde das junge Mädchen zu seinem ersten Ball angekleidet. Willenlos wie eine Marionette ließ sie sich von der Zofe ihrer Mutter so eng schnüren, daß sie kaum noch Luft bekam. Das wundervolle Kleid, das ihr übergestreift wurde, machte ihr keine Freude. Während die Zofe ihre rotblonden Haare mit der Brennschere in kunstvolle Locken legte und mit Perlen besetzte weiße Bänder in sie einflocht, starrte sie niedergeschlagen in den Spiegel. Sie hatte keine Lust, mit Männern, die sie zum größten nicht einmal kannte, zu tanzen. Der einzige Mann, mit dem sie tanzen wollte, war Joshua. Joshua, von dem sie seit Wochen nichts gehört hatte!
Wie gern hätte sie Samuel Bradley nach seinem Sohn gefragt. Zwei-, dreimal war sie ihm in den letzten Tagen im Haus begegnet, wenn er frische Blumen gebracht hatte. Nur die Angst, dabei beobachtet zu werden, hatte sie davon abgehalten. Sie durfte Joshuas Eltern nicht schaden. Daß Joshua und sie einander liebten hatte ihn schon genug Ungemach gebracht.
"Sie sehen einfach zauberhaft aus, Lady Ellen", meinte die Zofe und betrachtete zufrieden ihr Werk. "Allerdings sind Sie ein bißchen blaß." Sie legte eine hauchdünne Schicht Rouge auf Ellens Wangen.
Pieter und Arthur Ashburn hatten aus Anlaß des Balles ihre Studien unterbrochen und waren für ein paar Tage nach Rowland Manor gekommen. Zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester standen sie vor dem Eingang zur Großen Halle von Rowland Manor, die sich mit ihren
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