Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
in den Park.
Es wurde rasch dunkel. Der Gedanke, Joshua niemals wiederzusehen, war ihr unerträglich. Sie beschloß, wenigstens von ihm Abschied zu nehmen. Durch die Tür konnte sie ihr Zimmer nicht verlassen, blieben nur die Fenster. Rechts von ihrem Zimmer lag eine Wäschekammer. Nachdenklich blickte sie auf die etwa einen halben Meter breite Balustrade, die sich unterhalb der Fenster in diesem Stockwerk an der Hauswand entlangzog.
Das junge Mädchen wartete, bis im Haus alles ruhig geworden war und die Lichter verlöschten, bevor es aus dem Fenster auf die Balustrade kletterte. Seine Finger krallten sich in die Unebenheiten der Mauer, während es sich Zentimeter um Zentimeter auf das Fenster der Wäschekammer zuschob.
Ellen spürte, wie ihre Fingernägel abbrachen. Sie wagte nicht, nach unten zu sehen. Ein falscher Schritt und sie würde abstürzen. So wahnsinnig es war, was sie tat, sie konnte Joshua nicht ohne Abschied gehen lassen.
Wie sie hoffte, stand das Fenster der Wäschekammer wie gewöhnlich einen Spalt auf. Sie öffnete es ganz und kletterte hindurch. Erleichtert atmete sie auf.
Auf Zehenspitzen huschte sie zur Tür. Sie ließ sich ohne Geräusch öffnen. Vorsichtig spähte sie in den Gang, in dem nur ein einziges Nachtlicht brannte. Leise trat sie aus der Kammer. Als sie an ihrem Zimmer vorbei zur Treppe schlich, bemerkte sie, daß der Schlüssel von außen steckte. So mußte sie auf dem Rückweg wenigstens nicht noch einmal durch die Fenster klettern.
Niemand bemerkte, wie Lady Ellen das Haus verließ und durch den Park eilte. Der Mond spendete ihr genügend Licht, um den Weg zum Haus des Gärtners zu finden. Sie hoffte, daß Joshua Rowland noch nicht verlassen hatte.
Das Haus lag dunkel vor ihr. Sie bückte sich nach einigen kleinen Steinen und warf sie gegen das Fenster des jungen Lehrers. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie einen flackernden Lichtschein bemerkte.
Joshua öffnete das Fenster. "Ich komme nach unten", sagte er leise.
Ellen trat in den Schatten eines Holunderbusches. Sie hoffte, daß sie nicht auch seine Eltern geweckt hatte. Mit Recht würden sie alles andere als erfreut über ihren Besuch sein. Ihre heimlichen Treffen mit ihrem Sohn hatten schon genug Unglück über die Familie gebracht.
Die Hintertür des Hauses schwang auf. Joshua lehnte sie vorsichtig gegen die Wand, bevor er auf Ellen zueilte und sie in seine Arme riß. "Ich befürchtete bereits, wir könnten uns nicht mehr sehen", sagte er heiser vor Glück. "Um vier Uhr bringt mich mein Vater zur Bahn. In Bristol lebt eine Schwester meiner Mutter. Sie wird mich bestimmt für ein paar Tage aufnehmen können."
"Und danach?" fragte Ellen angstvoll. "Was wirst du danach tun?"
Er strich ihr zärtlich die Haare aus der Stirn. "Mach dir um mich keine Sorgen, Darling. Ich werde schon einen Weg finden." Als sie die Hand hob, um sein Gesicht zu berühren, bemerkte er ihre blutenden Fingerspitzen. "Was ist passiert?" fragte er entsetzt und hielt ihre Hand fest.
"Ich bin in meinem Zimmer eingeschlossen worden. Mir blieb nichts anderes übrig, als aus dem Fenster zu klettern", antwortete Ellen leichthin. "Mach dir darum keine Gedanken."
"Du hättest abstürzen können."
"Der Rückweg ist ungefährlich." Ellen schmiegte sich an ihn. "Bitte, laß mir sobald es geht eine Nachricht zukommen, Joshua. Ich mache mir solche Sorgen um dich." Sie schaute zu ihm auf. "Ich wünschte, ich könnte mit dir gehen, aber dann verlieren deine Eltern ihr Haus und ihre Arbeit." Hastig griff sie in die kleine Tasche, die sie an ihrem Kleid befestigt hatte, und zog ein zusammengeknotetes Taschentuch heraus. "Da ist etwas Geld. Bitte nimm es, Joshua. Du wirst es brauchen. Leider habe ich nicht mehr."
Joshua Bradley wollte ihr Geld nicht nehmen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als es ihm in die Tasche seiner Joppe zu stecken.
"Unsere Trennung wird nicht ewig dauern, Joshua, da bin ich mir sicher", sagte Ellen.
"Wie kannst du dir da so sicher sein?" Joshua bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. So glücklich es ihn auch machte, von Ellen Abschied nehmen zu können, sein Schmerz wurde dadurch nur noch größer. Er wollte Ellen nicht verlieren und wußte gleichzeitig, daß es für sie keine gemeinsame Zukunft geben konnte.
Samuel Bradley trat aus dem Haus. Er hatte sich über sein langes Hemd nur eine Jacke geworfen. "Bitte, Lady Ellen, kehren Sie heim", beschwor er das junge Mädchen. "Wenn Sie nicht meine Familie ins Unglück stürzen wollen,
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