Flucht ins Glück: Das Geheimnis von Baxter Hall: Von den Eltern verstoßen (Frauenschicksale im 19. Jahrhundert) (German Edition)
denn wir dir bestimmen, Ellen", sagte Lady Victoria. "Von deinem zukünftigen Verhalten hängt ab, was mit den Bradleys geschieht. Es liegt in deiner Hand, ob Joshuas Eltern weiterhin auf Rowland wohnen und arbeiten dürfen."
"Joshua Bradley hat vierundzwanzig Stunden Zeit, Cornwall zu verlassen", erklärte ihr Gatte, "anderenfalls werde ich seine Eltern auf die Straße setzen. Selbstverständlich wird er von uns keine Empfehlung für eine neue Stelle erhalten."
"Dann wird er nicht mehr als Lehrer arbeiten können", entfuhr es Ellen erschrocken.
"Das muß weder dich, noch uns kümmern, Ellen", warf Lady Victoria ein. "Sein Schicksal hat er selbst verschuldet. Er hat unser Vertrauen grob mißbraucht. Und solltest du daran denken, ihm heimlich zu folgen, so laß dir gesagt sein, daß in diesem Fall die Bradleys Haus und Arbeit verlieren."
"Ich würde dafür sorgen, daß sie in einem Armenhaus landen", drohte der Duke of Rowland. "Da es mit Kate Bradleys Gesundheit nicht zum besten steht, würde sie dort nur kurze Zeit überleben." Seine Lippen verzogen sich spöttisch. "Du siehst, wir legen das Schicksal dieser Leute in deine Hände, meine Tochter. Ihr Wohl und Wehe hängt von deinen Entscheidungen ab."
Erneut packte er Ellen bei den Schultern. "Ich verlange von dir, daß du uns versprichst, in Zukunft unseren Weisungen zu folgen, Ellen. Enttäusche nicht noch einmal unser Vertrauen. Es gibt Mittel und Wege, Töchter, die ihren Familien Schande machen, für alle Zeiten zum Schweigen zu bringen."
Indem man sie hinter die Mauern einer Anstalt verschwinden läßt, dachte Ellen erschauernd. Was blieb ihr anderes übrig, als ihren Eltern dieses Versprechen zu geben? Es ging nicht nur um ihr Schicksal, sondern auch um das von Joshuas Eltern.
"Ich verspreche es, Vater", flüsterte sie.
"Wage nicht, dieses Versprechen jemals zu brechen", sagte er. "Geh auf dein Zimmer. Während der nächsten Zeit wirst du es nicht verlassen. Deine Mahlzeiten werden dir oben serviert. Allein auf deinem Zimmer wirst du Gelegenheit haben, über dein Verhalten nachzudenken. Dem Personal wird verboten, mit dir zu sprechen. Erst, wenn wir der Meinung sind, daß du es wirklich gelernt hast, dich unseren Wünschen zu beugen, wirst du wieder an unserer Tafel willkommen sein."
"Und Großmama? Darf ich wenigstens Großmama besuchen?" fragte Ellen, da sie wußte, daß ihre Großmutter mehr als sie unter dem ihr auferlegten Arrest leiden würde.
"Nein, du darfst es nicht", erklärte ihr Vater. "Mach dir ruhig bewußt, daß dein Verhalten nicht nur Unglück über die Bradleys gebracht hat, sondern auch deiner Großmutter Schmerz zufügt."
Lady Victoria klingelte nach ihrer Gesellschafterin. Als hätte Abigail Cooper nur darauf gewartet, erschien sie bereits zwei Minuten später. Devot knickste sie. Ihrem Verhalten merkte Ellen an, daß sie bereits von ihrem Vergehen wußte. Sie zwang sich, sich von ihrem Haß auf diese Frau nichts anmerken zu lassen.
"Bringen Sie Lady Ellen auf ihr Zimmer und schließen Sie sie dort ein", befahl Lady Victoria. "Es ist Ihnen verboten, auch nur ein Wort mit ihr zu sprechen."
"Wie Sie wünschen, Mylady." Abigail Cooper neigte den Kopf.
Ellen folgte ihr widerstandslos in die Halle. Selbst wenn es ihr erlaubt gewesen wäre, sie hätte nicht das Wort an diese Person gerichtet. Stumm stieg sie mit der Gesellschafterin die Treppe hinauf und ließ sich von ihr in ihrem Zimmer einschließen. Erst als sie allein war, gestattete sie sich zu weinen. All die Tränen, die sie während der letzten halben Stunde zurückgehalten hatte, brachen aus ihr hervor. Schluchzend warf sie sich auf ihr Bett.
Eine Stunde später sah das junge Mädchen vom Fenster aus, Joshua Bradley durch den Park auf das Haus zugehen. An seiner Haltung konnte es erkennen, daß er bereits wußte, weshalb er ins Herrenhaus bestellt worden war. Da er nicht den Kopf hob und zu ihr hinaufsah, war es ihr unmöglich, ihm wenigstens zuzuwinken.
Die Dämmerung brach herein. Abigail Cooper kam mit einem der Hausmädchen. Ohne Ellen auch nur eines Blickes zu würdigen, zündete sie die Petroleumlampe an, während das Mädchen ein Tablett mit Brot, Käse und Tee auf den Tisch stellte. Gleich darauf ging es hinaus und brachte einen frischen Krug mit Wasser für den Waschtisch.
Ellen atmete auf, als sie hörte, wie von außen der Schlüssel im Schloß herumgedreht wurde. Niedergeschlagen trank sie eine Tasse Tee, dann setzte sie sich wieder ans Fenster und starrte
Weitere Kostenlose Bücher