Flucht ins Ungewisse
hatte und sich nun an meinem Nacken zu schaffen machte. Ein fahles Lächeln zeigte sich in Amandas Gesicht. Sie wirkte geschwächt und müde.
„Bist du sicher?“ Ich drehte mich etwas, sah ihr fest in die Augen, aber nur kurz, weil sie meinem Blick auswich.
„Ja“, sagte sie leise.
„Woher will sie das wissen?“, erkundigte sich Nick bei mir, während ich wieder den starken Geruch des Desinfektionsmittels roch und gleich darauf an meiner Haut spürte.
Aber es war Amanda, die ihm antwortete. „Menschen zu kontrollieren liegt nur in einem bestimmten Bereich in meiner Hand. Mit Tieren ist es einfacher, auch wenn sich ihre Seelen von unseren unterscheiden.“
Nick sah sie verblüfft an. „Tiere?“
Sie hat mir auch schon mal Hunde an den Hals gehetzt , dachte ich. Kurz bevor ich Lora über den Haufen gerannt … Ich biss mir auf die Backenzähne … und sie da mit hineingezogen hab.
„Gut“, meinte Nick dann, kratzte sich im Nacken. „Alles Weitere sollten wir woanders besprechen, das Verbandszeug is’ ohnehin aufgebraucht. Am besten wir fahren zu mir, es is’ grad keiner da.“
Ich sah ihn von der Seite an. „Du willst sie mit zu dir nehmen? Nein, vergiss es! Das is’ viel zu gefährlich!“
Nick schnaubte. „Nach allem, was du mir erzählt hast, könnt Cass uns auch in ’nem Einkaufszentrum in China finden, also halt’s Maul!“
Ich knurrte leise und schluckte meine Kommentare hinunter. Es gefiel mir ganz und gar nicht, wie Nick mit mir umsprang. Das hatte ich mir nicht einmal von Seth gefallen lassen, geschweige denn von irgendwelchen Erwachsenen. Aber er wirkte wirklich angespannt, was ziemlich untypisch für ihn war. Außerdem fühlte ich mich viel zu verdroschen, als dass ich hier jetzt einen Streit anzetteln konnte.
Nick stieß sich vom Wagen ab, holte die Schlüssel aus seiner Jackentasche, als ich das Brechen von Ästen wahrnahm. Ich packte seinen Arm. „Warte!“, flüsterte ich.
Er folgte meinem Blick und Jess hielt in ihrer Verbandsarbeit an meinem Nacken inne. Ich spannte mich fast schon unbewusst an, als eine Gestalt durch das Dickicht am Waldrand brach.
Amanda war als Erste auf den Beinen und rannte der Gestalt entgegen. „Lucas!“, rief sie, worauf ich wieder ans Auto zurücksank. Doch es überkam mich kein entkrampftes Gefühl oder etwas, das mich vielleicht etwas entspannt hätte. Nein, im Gegenteil. Als ich sah, wie Cass zusammenbrach, wurde mir erst bewusst, mit was für einem Gegner wir es hier zu tun haben mussten.
Lorianna Ambers:
„Ich versteh die Welt nicht mehr …“
Mein Atem war das Einzige, das ich noch wahrnahm. Ich wusste, dass ich saß und, dass Jess meine Wange, die unaufhörlich pochte, versorgt hatte. Aber ich konnte nichts von all dem wirklich wahrnehmen. Als würde ich mir einen 3-D-Film ansehen und dabei in der ersten Reihe sitzen.
Ich hatte schon fest damit gerechnet, dass ich in den Klauen des Mannes sterben würde. Nicht einmal Stephen King hätte diesen Schmerz in Worte fassen können. Es war einfach unerträglich. Für wenige Sekunden fühlte ich mich schwerelos und befreit von jeglichen Schmerzen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einmal in Matts Armen. Keine Ahnung, wie ich da hingekommen war. Fest stand nur, dass ich es war und dass ich lebte. Zum Glück!
Aber es gab mir durchaus zu denken, dass er den Namen meiner Mutter kannte. Und dass er sie in mir erkannt hatte. Nicht zum ersten Mal bin ich auf die Ähnlichkeit mit ihr angesprochen worden. Nur dass ich etwas kleiner war als sie und vielleicht nicht ganz so weiblich elegant, wie sie es gewesen war. Aber die groben Gesichtszüge mussten wohl dieselben sein. Ich für meinen Teil hatte nie das Gefühl, dass ich mit dieser selbstbewussten Frau irgendwelche Ähnlichkeiten aufwies.
Aber sie ist tot , sagte ich mir wie in einem Schlaflied. Und nun wollen sie mich auch tot sehen! Schließlich fragte ich mich das Offensichtlichste, das sich bis jetzt tief in mir vergraben hatte: Warum?
„Lucas!“, drang Amandas schrille Stimme zu mir vor. „Lucas!“ Ich hob meinen Kopf und vergaß dabei für einen Moment völlig, dass ich eine Nahtoderfahrung hinter mir hatte.
Erst jetzt realisierte ich, dass Matt außen an der Beifahrertür lehnte. Ich sah zum Wald und erkannte Amanda, die am Boden kniete und sich über jemanden beugte.
Ich merkte, wie ich kurz die Luft anhielt. Ich sah Amandas wellenschlagendes Schwarz und der Körper, der vor ihr am Boden lag, strahlte ebenfalls dieses
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