Flucht ins Ungewisse
beneide ich dich, weil du so viel Zeit mit Matthew verbringst.“
Sie verschränkte ihre Finger hinterm Rücken und streckte die Arme nach hinten. „Da muss es doch schon zwangsläufig etwas Besonderes an dir geben.“
„An mir ist nichts besonders“, beharrte ich. „Keine Ahnung, wem ich ähnlich sehe, aber du täuschst dich. Ich bin völlig normal.“
Amanda schnalzte mit der Zunge. „Du irrst dich!“ Sie trat einen Schritt zurück, ging dann zu einem der Schreibtische. Als sie mir den Rücken zuwandte, keimte in mir sofort der Gedanke auf, dass jetzt die beste Gelegenheit wäre, um zur Tür zu hechten und zu fliehen. Doch schon eine kleine Bewegung nach vorne widerlegte die Möglichkeit dieses Plans. Schmerzen zuckten wie Sternschnuppen durch meinen Körper, lähmten mich.
„Na, na, wer wird denn hier fliehen wollen?“, zog sie mich auf, den Rücken immer noch mir zugewandt. Ich merkte, wie sie mich in einem der Fenster beobachtete. „Du würdest in deinem Zustand ohnehin nicht weit kommen. Und was würde dann aus deinem kleinen, charmanten, blauhaarigen Freund werden?“
„Was hast du ihm angetan?“ Ich schwang nur ein Bein von der Couch, doch die Bewegung reichte schon aus, um mich in eine Karussellfahrt von Farben zu werfen.
„Noch nichts, aber das hängt ganz von dir ab. Sag mir alles, was ich wissen will, und er darf mit allen Gliedmaßen wieder heim.“ Die Art, wie sie sprach, überkreuzte sich mit ihrer süßlichen Stimme, in der immer ein Lächeln mitschwang. „Die Flecken, die er jetzt schon hat, kann ich leider nicht mehr zurücknehmen.“
Als Amanda wieder vor mir stand, hielt sie mir ein Glas Wasser vors Gesicht. „Hier, trink das! Spült den Schmerz und den ekligen Geschmack weg.“ Sie zwinkerte.
Ich zögerte, doch da ich nicht wusste, was sie tun würde, wenn ich ablehnte, nahm ich das Glas und trank einen langsamen Schluck. Die kühle Flüssigkeit rann gemächlich meinen Rachen hinunter.
Ich behielt das Glas in den Händen, um etwas zu haben, an dem ich mich festhalten konnte.
Amanda zog den Sessel zur Couch heran, setzte sich vor mich und überkreuzte ihre langen Beine.
„Unterhalten wir uns etwas, bis das Mittel wirkt.“
Mittel? Ich sah zu dem Glas in meinen Händen hinunter. Das klare Wasser schlug kreisförmige Wellen, die etwa einen Millimeter am Glasrand hochkrochen und kleine Tröpfchen hinterließen.
„Denkst du etwa, ich würde warten, bis du dich besser fühlst und vielleicht nach Matthew rufen kannst? Nein, so dumm bin ich nicht.“
Nicht dass ich daran je gedacht hätte, Matt zu rufen, aber die Idee wäre doch nicht so schlecht! Ich schluckte und versuchte mich auf ihn zu konzentrieren. Ich stellte ihn mir bildlich vor, seine dunklen, leicht gewellten Haare. Seine pechschwarzen Augen. Sein Lippen- und Brauenpiercing. Doch sein Bild verschwamm sofort wieder. Mir wurde schwindlig und furchtbar schlecht. Ich hustete, es war, als würde ich keine Luft mehr bekommen.
Ich hörte Amanda seufzen. „Ich hab doch gerade gesagt, dass das nichts bringt.“
Da musste ich ihr leider recht geben … „Gut, was willst du von mir?“ Ich rieb meine Augen, um wieder Klarheit in meine Gedanken zu bekommen.
„Zuerst will ich wissen, wie es meinem Liebling so geht“, sagte sie, fuhr dabei mit einem Finger ihre Unterlippe nach. „Unsere letzte Begegnung liegt ja noch nicht so lange zurück. Es war wirklich schön.“ Sie lächelte, diesmal sah es zur Abwechslung mal ehrlich aus. „Ich hab ihn so vermisst“, fügte sie flüsternd hinzu.
Ich verdrehte die Augen so gut ich konnte. „So wie er es mir beschrieben hat, war es katastrophal. Du solltest dir echt ein anderes Hobby suchen.“
„Du hast keine Ahnung, was es bedeutet, ich zu sein!“
Ich wich ihrem eisigen Blick nicht aus. „Nein, das hab ich nicht. Aber ich will auch gar nicht wissen, wie es in deinem kranken Hirn aussieht.“
Amanda sprang in einem Satz auf ihre Füße, holte mit einem Arm aus und scheuerte mir eine.
Ich konnte nicht schnell genug reagieren und fing die volle Breitseite ihres Schlages ab. Etwas Hartes knallte gegen meinen Wangenknochen. Mein Kopf schnellte zur Seite. Meine gesamte linke Gesichtshälfte wurde eiskalt, bevor sie zu brennen begann wie die Hölle selbst.
Ich fuhr mit der Hand zu der Stelle, gleichzeitig glitt mir das Glas aus den Fingern und fiel zu Boden. Es zerbarst. Abertausende feine, funkelnde Splitter verteilten sich um Amandas hohe, schmale
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