Flucht ins Ungewisse
rollen. Mit der anderen Hand wischte ich über meinen Mund. Der widerliche Geschmack blieb jedoch.
Ich saß auf einer tief eingesessenen, ausgefransten Couch. Ein dusterer Büroraum erstreckte sich vor mir. Zwei breite Schreibtische standen zusammengeschoben zwischen zwei großen Fenstern, die mir das Dunkel der Nacht zeigten. Die Tische waren mit Unmengen Papierkram, Mappen und Schreibutensilien vollgerümpelt. Alte Kasten-PCs und ein riesiger Drucker (wie sie in den Lehrerzimmern immer standen) schienen neben den Lampen an der Decke die einzigen Elektrogeräte hier zu sein. Ein länglicher Aktenschrank, der beinah die gesamte Wand zu meiner Linken ausfüllte, musste einmal wild durchwühlt worden sein. Die Schubladen waren alle halb offen, Dokumente lagen verstreut am Boden und lugten aus den Laden.
Die Couch, auf der ich saß, stand den Fenstern gegenüber. Eine schulterhohe Pflanze stand neben mir, berührte mit ihren länglichen grünen Blättern meinen Kopf. Diese leichte Berührung fühlte sich tonnenschwer an.
An der Wand zu meiner Rechten war eine Tür und gleich daneben stand ein Sessel. Bei genauerer Betrachtung erschrak ich, was mir einen neuen Schwall von Schmerzen abverlangte. Auf dem Sessel saß jemand. Jemand, den ich kannte.
„Da hab ich den Kübel ja richtig positioniert“, sagte die Gestalt mit einer zuckersüßen Stimme.
Ich kniff die Augen zusammen, wollte, dass die Schmerzen in meinem Kopf aufhörten. Was ist eigentlich passiert? Und wo in Teufels Namen bin ich?
„Deinem Freund geht es … den Umständen entsprechend gut.“
Freund? Wen meint sie? Ich zog den Ärmel meiner Weste über meine Hand, fuhr mir damit übers Gesicht. Ein bekannter Duft kroch mir dabei in die Nase. Es war einen Hauch von Lack. Und in dem Moment erinnerte ich mich wieder. Simon war gekommen. Wir hatten einen ganzen Tag gemeinsam verbracht, und als wir auf dem Weg zu seinem Hotel waren, wurden wir von diesen Halbstarken angegriffen. Und … damit endete meine Erinnerung.
Ich machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf (die ich gleich bereute). „Simon!“
„Genau der!“ Die junge Frau mit den hohen Wangenknochen formte mit ihren Fingern eine Pistole und machte eine Schussbewegung in meine Richtung.
„Ich … Du bist doch …“ Es fiel mir wirklich schwer, einen einzigen verdammten Gedanken zu fassen. Ich versuchte mich stärker auf meine Worte zu konzentrieren. „Wo bin ich? Was ist passiert? Und was ist mit Simon?“ Ich sah zu, wie sie eine ihrer pinken Haarspitzen zwischen den Fingern rollte. Sie legte ihren Kopf schief, sah mich weiterhin an. „Du hast es immer noch nicht begriffen, nicht wahr?“
„Was begriffen?“
Sie verdrehte die Augen. Tut mir leid, ich sterbe hier gerade an meinen Schmerzen und vor Sorgen um Simon. Da hab ich’s nicht so mit begreifen!
Sie stand so schnell auf, dass ich ihr mit den Augen kaum folgen konnte. Hatte ich etwa eine Gehirnerschütterung? Warum hatte man mich eigentlich k.o. geschlagen? Blutete ich vielleicht auch noch?
Behutsam griff ich an meinen Hinterkopf. Fühlte sich noch einigermaßen heil an. Wobei, eine Beule war deutlich zu spüren. Toll …
„Ich …“ Die junge Frau stand plötzlich vor mir und ich zuckte vor Schreck zusammen. Sie beugte sich zu mir herunter. Ich konnte die Wärme von ihrem Gesicht an meiner Wange spüren. „… bin Amanda.“
Was? All meine Gehirnfunktionen stürzten nach diesen einfachen drei Worten ab. Und zwar vollständig.
„Amanda“, sprach ich ungläubig nach, sah ihrer Bewegung zu, wie sie sich wieder aufrichtete.
Sie nickte, strich mir leicht über den Scheitel, was mir höllische Schmerzen bereitete. „Meine Männer waren etwas grob zu dir, aber immerhin lebst du noch.“ Das breite Lächeln, das sich in ihr Gesicht schnitt, war ein krasser Kontrast zu ihren leuchtenden, blizzardartigen Augen.
Eine schwarze Lava waberte um ihren Körper. Beständig und langsam. Wie letztens bei Matt. Und auch damals, als ich sie das erste Mal getroffen hatte.
Ich atmete zitternd durch und sammelte alle Teile meiner Selbstbeherrschung wieder zusammen, die gerade zersprungen waren. Sie hatte Matts Leben zerstört und meines gleich mit. Ich biss die Zähne zusammen, dann blickte ich ihr fest in die Augen. „Was willst du von mir? Warum hast du es auf mich abgesehen? Und warum tust du Matt das alles an?“
Ihr Lächeln blieb, sie verzog keine Miene. „Du erinnerst mich einfach an jemanden, da wurde ich neugierig. Außerdem
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