Flucht ins Ungewisse
konnte ich einen Blick auf das Schloss werfen. Ich lächelte. Das war schon fast zu einfach.
Ohne weiter Zeit zu verschwenden, kniete ich mich vor die Tür, streckte dann eine Hand nach hinten. „Nick, die Haarspange!“
„Haarspange? Ich hab doch keine …“
Ich nagelte ihn mit einem bitteren Blick fest. Ich wusste, dass Jess bei ihrem ersten Date eine Haarspange verloren hatte und diese „verlorene“ Haarspange trug Nick stets bei sich.
Nick verzog sein Gesicht, wühlte dann aber artig in seiner Tasche und gab mir das schmale Drahtteilchen. Ich bog es auseinander, formte es, so gut es ging, und ignorierte Nicks entsetzte Kommentare.
Nach zwei missglückten Versuchen klickte es schließlich und die Tür war offen.
„Wo hast du gelernt Schlösser zu knacken?“, fragte Cass.
Ich zuckte mit den Schultern, als ich einen Blick durch den Türspalt warf. Der hell erleuchtete Gang war leer. „Ich hatte einen guten Lehrer“, sagte ich nur. Ich hatte keine Lust, ihm von meiner Vergangenheit zu erzählen. Es war besser, wenn sie tief in meinen Gedanken begraben blieb.
Wir schlichen leise durch den Gang. Wir mussten uns keine Gedanken mehr darüber machen, ob uns jemand hören würde, unsere unweigerlich hallenden Schritte waren schon Ankündigung genug.
Wenn uns jemand entgegenkommen würde, hätten wir ihn erledigen müssen, denn Verstecke gab es hier keine, nur die glatte Wand an beiden Seiten. Und viele verschlossene Türen.
Dieser Teil der Halle bestand anscheinend nur aus diesen verzweigten Gängen und Räumen. Ich fragte mich ernsthaft, wo der große Lagerraum war.
Wir bogen um eine weitere Ecke und ich hörte die fremden Schritte einen Moment zu spät, um noch eine Warnung rufen zu können.
Ein bewaffneter Mann mit Lederjacke und einer Haarlänge von mindestens einem Meter hatte uns an der Ecke aufgelauert, schlug nun seinen Arm in die Richtung von Nicks Kopf. Ich zog ihn gerade noch rechtzeitig zurück und bewahrte ihn vor schlimmeren Verletzungen. Doch sein Schreck währte nur kurz, da fing er in einer reflexartigen Bewegung den Arm des Mannes ab, schlug ihn einmal gegen die Wand, sodass der Mann die Waffe losließ. Von mir bekam der Mann einen Schlag in den Magen, was ihn gegen die Wand sinken ließ. Er umschlang seinen Bauch und ließ ein tiefes Knurren verlauten, das unseren Aufenthalt hier in etwa genauso gut verriet, wie eine riesige Leuchtreklame.
Nachdem er seinen Schmerz überwunden hatte, baute sich der Mann zu seiner vollen Größe auf, versuchte dabei, Nick abzuschütteln, doch dieser ließ nicht locker. Bevor er noch etwas Dummes anstellen konnte, boxte ich dem Mann nur leicht in den Kehlkopf. Wenn ich bei diesem Angriff meine Kraft nicht unter Kontrolle hatte, konnte er daran sterben. Aber er griff sich mit den Händen an den Hals und hustete nur. Zum Abschluss, um dem Ganzen hier ein Ende zu machen, holte ich noch einmal mit dem Arm aus, um ihn außer Gefecht zu setzen.
„Halt!“
Ich hielt in meiner Bewegung inne, nur eine knappe Handbreit von dem Gesicht entfernt. Ehrfürchtig starrte der offensichtliche Metallica-Fan auf meine Faust.
Cass trat neben mich, schlug dem Mann, wie zuvor schon dem anderen, gezielt in den Nacken, worauf er nach einem glucksenden Geräusch zusammensackte. Können denn alle Asiaten Karatetricks?
Cass sah mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte. „Warum so brutal?“
Ich biss die Zähne zusammen, verkniff mir jegliche Aussage.
Nur weil er ganz offensichtlich die bessere Ausbildung hinter sich hatte, hieß das noch lange nicht, dass er mich niedermachen durfte. Immerhin hab ich bis jetzt überlebt. Das ist alles, was für mich zählt!
„Hört auf mit dem Schwachsinn“, mischte sich Nick ein. „Prügeln könnt ihr euch später.“
Cass wandte sich ohne ein Wort von uns ab, verdeckte seinen Gesichtsausdruck. Ich starrte zahllose Sekunden auf seinen Rücken, bevor ich zu Nick sah und schließlich weiterging. Etwas an diesem Cass ist wirklich seltsam! Er war bemüht Amandas Männer nicht zu verletzen, obwohl er kämpfen konnte wie ein Karatechampion. Warum konnte ein „einfacher“ Schüler überhaupt so kämpfen? Er wirkte nicht wie einer, der sich die Nächte auf der Straße durchschlägt oder sich in wilde Auseinandersetzungen wirft. Auch der Ausdruck in seinen Augen, sobald Amanda erwähnt wurde, war fraglich. Es wirkte, als hätte er Mitleid mit ihr. War er wirklich auf unserer Seite? Andererseits hatte er mir mehr als einmal
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