Flucht nach Avalon
weglocken.
Mein Rover stand dort wie ein einsamer Geselle. Über der Tür brannte die Lampe, auch die beiden Laternen an der Außenseite neben den Fenstern gaben ihr Licht ab.
Die Tür stand offen, ich ging hinein, traf keinen an und holte aus dem Zimmer meinen Koffer.
Nichts hatte sich dort getan. Es sah so aus, wie ich es verlassen hatte.
Ich schaute durch das Fenster.
Über dem Moor hatte sich der Dunst verstärkt. In der Nacht würde er sicher zu einem Nebel werden, dann aber wollte ich nicht mehr in Glastonbury sein.
Ich nahm den Zimmerschlüssel mit und ging nach unten. Auf den Treppenstufen hallten meine Tritte als Echos wider. Der Koffer, den Gral und den Helm packte ich in den Wagen.
Helm und Gral fanden ihre Plätze auf dem Beifahrersitz. Den Koffer legte ich in den Fond. Ich würde auch die Polizei herschicken, denn Versys Leiche mußte geborgen werden.
Jetzt fehlte mir nur noch die Wirtin, damit ich zahlen konnte. Ich ging noch einmal zurück, betrat aber diesmal die Gaststube, weil ich sie dort erwartete. Sie war auch da.
Als ich sie sah, fiel mir auch ihr Name wieder ein. Sie hieß Alva. Das alles aber war zweitrangig. Nie hätte ich gedacht, daß das absolute Grauen noch eine Steigerung erfahren konnte.
Hier war es so.
Alva hockte unbeweglich auf einem Stuhl. Sie war tot, durchbohrt von einem lanzenartigen Gegenstand. Und auf ihrem Schoß lag Kilian Versys Kopf!
***
Ich wußte nicht, was ich in diesen Augenblicken fühlte. Ich war einfach nicht mehr fähig für Gefühle. In mir fror etwas ein; auch mein Blut schien aus Eispartikeln zu bestehen. Durch meinen Kopf tobte ein irrer Vergleich.
Ich sah den herrlichen Garten Avalon und die zahlreichen Menschenköpfe darin, die sich allesamt nicht bewegten. Bis auf einen.
Der gehörte Nadine Berger.
»Mein Gott…«
Jemand hatte gesprochen. Erst Sekunden später kam ich darauf, daß ich es gewesen war. Ich hatte meine eigene Stimme nicht wiedererkannt, so fremd war sie mir geworden.
Wäre dieses verfluchte Wesen jetzt erschienen, ich hätte mich ihm mit bloßen Händen entgegengestellt.
Reiß dich zusammen, John! Pack es. Denk nicht dran. Versuche, wie ein Polizist zu reagieren. Laß die Gefühle aus dem Spiel. Das hämmerte ich mir ein, ohne allerdings überzeugend zu sein. Ich war ein Mensch und keine kalte Maschine.
Langsam zog ich mich zurück. Draußen atmete ich tief durch. Mir war übel geworden. Ich stützte mich gegen meinen Wagen und schaffte es nur mühsam, mich nicht zu übergeben.
Die Zeit der Erholung brauchte ich, um die Gedanken wieder sammeln zu können.
Der Geist des Abts war also vor mir zurückgekehrt und hatte Versys Kopf mitgebracht. Dies wiederum sagte mir, daß er genau über meine Schritte informiert gewesen sein mußte. Hielt er mich aus dem Unsichtbaren heraus unter Kontrolle, oder konnte er in die Zukunft schauen, um über meine Handlungen informiert zu sein.
Hier war alles möglich…
Wo sollte ich hin?
Ich mußte ihn weglocken, einfach weg von den Menschen. Raus aus Glastonbury. Vielleicht doch ins Moor fahren. Ja, das war die beste Idee.
Dort arbeitete niemand mehr. Da waren wir beide unter uns, falls wir uns denn trafen.
Ich hatte die Fahrertür schon offen, als ich die Gestalt sah, die auf das Haus zukam.
Es war ein normaler Mensch, kein kopfloser Ritter mit blutverschmiertem Schwert.
Der Mann war schon älter. Wind fuhr in seine grauen Haarsträhnen und wirbelte sie in die Höhe. Er kam direkt auf mich zu, blieb in Sprechweite stehen und nickte.
»Bitte sehr?« fragte ich leise.
»Mein Name ist Ingles. Ich bin hier der Pfarrer.«
»John Sinclair.«
»Ich weiß.«
»Woher?«
»Kilian Versy hat mich eingeweiht. Ich sollte wissen, daß jemand kommt, um den Zipfel eines Geheimnisses zu lüften.«
»Ja, das bin ich.«
Der Geistliche nickte. Er hatte ein rundes Gesicht mit müden Augen und einer bleich wirkenden Haut. Seine Finger sahen aus wie eine Kralle.
»Ich möchte Sie bitten, Mr. Sinclair, unseren Ort zu verlassen. Wir alle hier wissen, welche Bürde uns aufgelastet wurde. Wir kennen die Geschichte, die Mythologie. Wir möchten wirklich nicht, daß Fremde darin herumstochern. Bisher haben wir die Probleme allein bewältigen können, auch wenn wir uns unter dem Druck der Mythologie beugen.«
»Ja, Hochwürden, das ist mir alles bekannt. Nur ist es mit der Ruhe leider vorbei.«
»Inwiefern?«
Meine rechte Hand lag auf dem oberen Türrahmen. »Kennen Sie die ganz alten Geschichten?«
Er
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