Flucht nach Colorado
verkrampfen, zwang er sich dazu, sich zu entspannen. Er versetzte sich in ein Stadium, in dem er den Stich in sein Fleisch bemerkte und, genauso schnell, das darauf folgende Pochen ignorierte.
Er atmete tief ein, bevor sie ein zweites Mal zustach. Hinter geschlossenen Augenlidern stellte er sich vor, wie kühlblaues Wasser an den Strand von Florida spülte und wie er durch sanfte Wellen tauchte. Er beruhigte seine Gedanken und seinen Geist, erhob sich über die pochenden Schmerzen.
Er zuckte nicht zusammen. Es war nötig, dass er genäht wurde. Was er auszuhalten hatte, war nichts verglichen mit der Vorstellung, den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen, wegen eines Verbrechens, das er nicht begangen hatte.
„Fertig", sagte sie.
Als er die Augen öffnete, erhaschte er einen anerkennenden Ausdruck in ihren Augen.
Einen Moment lang sah sie fast so aus, als wolle sie ihn in den Arm nehmen. Er sehnte sich nach einer Berührung von ihr, nach ihrer Aufmerksamkeit, ihrer Zuneigung. Wenn wenigstens ein Mensch an seine Unschuld glauben würde ...
„Mehr kann ich nicht tun", beteuerte sie. „Sie haben versprochen, zu gehen."
Er nickte steif.
Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Polizeifunk. Nun wurden Straßensperren in der Nähe von Cascadia aufgestellt. Er konnte also nicht mit dem Auto flüchten.
Er legte sich einen Plan zurecht. Er wollte zu Fuß über die Berge entkommen, dort würde man ihn nicht so leicht finden. Allerdings war er nicht dafür ausgerüstet, in den Bergen zu überleben. Er brauchte einen Experten. Er brauchte Emily.
„Packen Sie Ihren Rucksack", sagte er. „Sie begleiten mich."
2. KAPITEL
Von Anfang an hatte Emily sich die Frage gestellt, was Jordan mit ihr anstellen würde, wenn er sich wieder auf die Flucht begab. Es war nicht anzunehmen, dass er einfach zum Abschied winkte und aus der Tür hinausspazierte. Er konnte sie als Zeugin nicht einfach so zurücklassen.
Sie hatte damit gerechnet, dass er sie fesseln oder ihr Auto fahruntauglich machen würde.
Oder sie gar bewusstlos schlagen. Doch niemals wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass er sie mitnehmen wollte. „Warum, Jordan? Warum soll ich mit Ihnen gehen?"
„Weil es nahe liegend ist", sagte er.
„Nein, ist es nicht."
„Denken Sie doch mal darüber nach."
„Sie wollen mich als Geisel nehmen." Er brauchte sie als Unterpfand für seine Freiheit. Die Vorstellung empörte Emily. Sie war nie eine sonderlich fügsame Frau gewesen. Ihr Vater hatte in Vietnam gekämpft, und sie hatte immer genauso tapfer sein wollen wie er. „Ich warne Sie Jordan. Wenn Sie mich mitnehmen, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, damit man Sie fasst."
„Dann werde ich wohl ein Auge auf Sie haben müssen."
Mit blankem Oberkörper saß er auf dem Küchenstuhl und streckte die langen Beine von sich. Noch immer wunderte sie sich über die stoische Ruhe, die er während ihrer Behandlung an den Tag gelegt hatte. Er hatte nicht aufgeschrien, hatte nicht einmal einen einzigen Muskel angespannt. Seine unglaubliche Selbstkontrolle und Entschlossenheit machten ihr Angst.
Dieser Mann würde niemals kampflos aufgeben.
Sie sah, wie seine nackte Brust sich hob und senkte, während er tief ein-und ausatmete.
Trotz des sechswöchigen Gefängnisaufenthaltes war er in ziemlich guter körperlicher Verfassung. Seine breiten Schultern und die kräftige Brust gingen in einen schlanken Torso über. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig, ein paar Jahre älter als sie selbst.
Er war verdammt attraktiv, wie sie leider zugeben musste. Als sie die Wunde an seinem Arm versorgt hatte, hatte sie seine heiße Haut unter ihren Händen gespürt. Einmal war sie versehentlich an das schwarze, lockige Haar auf seiner Brust gekommen und hatte dabei eine merkwürdige Sehnsucht verspürt. Sie war erschrocken gewesen zu entdecken, dass sie seinen muskulösen Körper am liebsten gestreichelt hätte, und sie hatte sich ungehalten zur Ordnung gerufen.
Sie durfte solche Empfindungen für Jordan Shane keinesfalls zulassen. Er war ein entlaufener Sträfling, ein Krimineller. Es war ihre Pflicht, dafür zu sorgen, dass er wieder in polizeilichen Gewahrsam kam.
„Sie können Ihr Hemd wieder anziehen", sagte sie schnippisch.
Er tat, wie ihm geheißen, obwohl er sich mit seinem verletzten linken Arm nur schlecht bewegen konnte. Er ließ das blutbefleckte Sträflingshemd aufgeknöpft.
Dann hob er den Blick. Obwohl sie ein weißes, antiseptisches Mittel
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