Flucht nach Colorado
zufrieden damit, in seinen Armen zu liegen. Jordan lehnte sich an die Wand. Sie kannte ihn so gut. Er war ihr so vertraut. Durch ihn war sie gezwungen gewesen, ganz tief in sich hineinzublicken, sich ihren verdrängten Schmerzen und Albträumen zu stellen. Und doch musste sie Jordan bald Auf Wiedersehen sagen.
„Wenn das hier vorbei ist", fragte sie, „was wirst du dann tun?"
„Ich gehe nach Hause."
„Nach Florida."
„Ja. Dort ist mein Zuhause." Er streichelte ihr zart übers Kinn. „Ich möchte, dass du mit mir kommst."
„Ich könnte dort nicht leben. Es ist viel zu heiß", antwortete sie. „Von den Schlangen einmal abgesehen."
„Glaub mir, Em. In Florida ist man verdammt viel sicherer als hier."
„Du hast Colorado nie eine Chance gegeben."
„Das Gleiche könnte ich von dir und Florida sagen."
Sie machte sich nicht die Mühe, zu antworten. Jordan kam aus dem Süden, und sie würde ihn niemals dazu bringen, mit ihr in den Bergen zu leben. Wenn das hier vorbei war, würden sie vielleicht eine Zeit lang versuchen, eine Entfernungsbeziehung zu führen. Vielen Paaren gelang das. Aber das war es nicht, was Emily wollte. Sie wünschte sich eine Familie. Kinder von Jordan. Sie wünschte sich so viel von ihm. Vielleicht zu viel.
Jordan beugte sich vor und nahm eine Flasche aus dem Regal. „Wie wäre es mit einem Schluck hundert Jahre altem Cognac?"
„Das würde Brian wirklich ärgern."
„Ich weiß", sagte er.
Sie grinste ihn verschmitzt an. „Dann los, mach die Flasche auf."
Jordan wurde von einem lauten Scheppern geweckt. Er hörte Ritas Stimme. „Kommt mit", befahl sie. „Schnell. Teresa bekommt ihr Kind."
„Ihr Kind?" stöhnte Jordan.
Nach einigen Schlucken des wunderbar weichen Cognacs hatte er sich letzte Nacht auf dem Boden ausgestreckt, die Jacke als Kissen unter den Kopf geschoben und Emily in seine Arme genommen.
„Jordan!" Rita rüttelte erneut am Gitter. „Schnell."
Emily tippte ihm auf die Schulter. „Gib mir den Schlüssel."
„Was hast du vor?"
„Ich bin Krankenschwester, Jordan. Ich kann ein Baby entbinden."
„Einen Moment mal, meine Damen. Wir müssen nach wie vor vorsichtig sein. Rita, ist Brian im Haus?"
„Er ist ganz früh losgezogen, um bei der Suche zu helfen."
Nun war die Fahndung nach ihm offenbar erneut in vollem Gange. „Hat der Sheriff auch wieder mobilgemacht?"
„Si", entgegnete sie hastig. „Madre de dios, Jordan. Wir sind hier in Sicherheit. Die Türen sind verschlossen. Die Sicherheitssysteme aktiviert. Beeil dich! Teresa braucht Hilfe."
Zögernd gab er Emily den Schlüssel und folgte den beiden Frauen nach oben in Ritas Wohnung. Jordan hatte Rita immer gerne besucht. Die Möbel in dem einfachen Apartment standen in krassem Gegensatz zu den sterilen Antiquitäten und Kunstwerken im Rest des Hauses. Alles war farbig, Dutzende von Familienfotos standen herum, eine Gitarre, auf den Polstermöbeln lagen handbestickte Kissen, und an der Pinwand hingen Postkarten aus Mexiko.
Die beiden Frauen hasteten ins Schlafzimmer und schlossen die Tür. Jordan setzte sich in einen Sessel. Als er aufblickte, sah er ein Mädchen mit großen Augen und einem langen schwarzen Zopf. Sie kauerte verängstigt in einer Ecke des Sofas. „Bist du Isabel?"
„Si."
„ Quantos anos tienes?"
Sie hob alle fünf Finger. „Cinco."
Sie war fünf Jahre alt. Würde irgendjemand der Aussage eines Kindes glauben? Auf jeden Fall brauchte er einen glaubwürdigen Menschen, der das Gespräch bei der Videoaufnahme führte. Aber auf keinen Fall Kreiger.
Rita stürzte aus dem Schlafzimmer, rannte zum Kühlschrank und holte Eiswürfel heraus.
„Sprechen Sie Englisch mit ihr, Jordan. Sie muss die Sprache lernen."
„Kann ich irgendwie helfen? Soll ich Wasser abkochen oder so was?"
„Bleiben Sie einfach bei ihr und erzählen Sie ihr eine Geschichte."
Er stand auf. „Darf ich mich zu dir setzen?"
„Ja", sagte sie.
Als er sich neben ihr auf der Couch niederließ, fiel ihm die E-Mail von Emily ein, in der sie geschrieben hatte, wie sehr Isabel sich für die Rettungshunde interessiert hatte. „Magst du Hunde?" fragte er.
„Oh ja, sehr."
„Dann erzähle ich dir eine Geschichte von Pookie dem Wunderhund. Er kann klettern. Und er kann sprechen. Hast du schon mal gehört, wie ein Hund ,wuffz' sagt?"
Sie schüttelte den Kopf und kicherte.
Rita kam aus dem Schlafzimmer. Sie ging in die Küche und kam mit einer weiteren Schüssel Eiswürfel zurück. Vor dem Sofa blieb sie stehen.
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