Flucht nach Faerie - Beil, J: Talisman-Kriege 1 - Flucht nach Faerie
Gegensatz zu den ausschweifenden Feiern zu Beginn der Woche. Einige Bauern und Dorfbewohner saßen still über ihren Getränken. Andere spielten Karten oder unterhielten sich leise, insgesamt jedoch wirkte der Raum leer. Als Derik das Ale brachte, fragte Alek: »Heute Abend ist es ein wenig ruhig, oder?«
»Sehr ruhig. Anscheinend erholen sich die Leute noch vom Bardentag. Eine solche Feier habe ich seit der Beerdigung des alten Granduk Thorvoll vor zwanzig Jahren nicht mehr erlebt. Trotzdem langt das Geschäft, um mich über Wasser zu halten. Heute Abend ist ein Bursche hier, der kauft genug Ale, um die Sorgen von zehn Männern wegzuspülen. Schau, dort drüben sitzt er.«
Der Schwankwirt deutete auf die abgeschiedene Nische, in der am Bardentag Salin gesessen hatte. Im Augenblick befand sich dort ein unauffälliger Mann, vermutlich etwa vierzig Jahre alt. Er trug einen staubigen, weißen Kittel und eine weite Hose. Sein kurzes braunes Haar lag flach am Kopf an, das glatt rasierte Gesicht offenbarte so unscheinbare Züge, dass sie ungewöhnlich wirkten. Reglos saß er da und starrte in sein Getränk, als verbärgen sich darin die tiefsten Geheimnisse der Welt.
Seltsamerweise erkannte Alek den Mann. Er hatte ihn drei- oder viermal gesehen, manchmal hier in der Schänke, manchmal in den Wäldchen am Rand des Dorfes. Alek hatte gehört, dass der Mann Michael hieß und abgeschieden in einer kleinen Hütte im Wald lebte. Mehr wusste niemand über den Einsiedler, nur, dass er schon viele Jahre dort hauste, länger, als Alek auf der Welt war.
»Was macht er hier?«, flüsterte Alek. »Er wagt sich so gut wie nie ins Dorf.«
Derik zuckte mit den Schultern. »Wer weiß schon, was der alte Michael im Schilde führt? Vielleicht hatte er es bloß satt, alleine dort draußen im Wald zu hocken. Ich jedenfalls beschwere mich nicht. Solange er weiter zu trinken bestellt, kann er meinetwegen bleiben, so lange er will.«
Alek nickte, wandte sich anderen Belangen zu und fragte: »Könntest du mir einen Gefallen tun? Ich sehe Salin nirgendwo. Würdest du ihm ausrichten, dass ich hier bin?«
»Sicher. Ich schicke Kist hinauf, um ihn zu holen.«
Derik rief Kist, einen gedrungenen Jungen, der Besorgungsgänge für den Schwankwirt erledigte. Das Bürschlein rannte die Treppe hinauf, um die Botschaft zu überbringen. Als er weg war und sich Derik wieder seinen Aufgaben widmete, holte Alek den Talisman aus der Tasche und betrachtete ihn im trüben Licht der Schänke. Die Diamanten fingen es ein, warfen es an die Wände zurück und sprenkelten diese mit einem tänzelnden Funkeln. Abermals fragte er sich, welche Bedeutung der Glücksbringer für Salin haben mochte, dass der Mann bereit war, ein Vermögen dafür zu bezahlen. Gedankenverloren starrte er auf den Talisman, der sich an der Kette drehte, als ihn eine Stimme erschreckte.
»Wie kommst du zu einem solchen Relikt, mein Junge?«
Alek wirbelte auf dem Hocker herum. Überrascht stellte er fest, dass der alte Einsiedler, Michael, nur wenige Schritte von ihm entfernt stand. Etwas an dem Mann bereitete Alek Unbehagen. Er krümmte sich auf seinem Sitz und versuchte, sich von Michaels stumpfen, grauen Augen abzuwenden.
»Relikt? Ich fürchte, ich weiß nicht …«
»Der Glücksbringer, den du in der Hand hältst«, ergänzte der Einsiedler. »Woher hast du ihn?«
Da wurde Alek wütend. Er konnte es nicht leiden, ausgefragt zu werden, schon gar nicht von einem verschrobenen Einsiedler, der wahrscheinlich betrunken und vermutlich obendrein halb verrückt war. Unwillkürlich steckte er den Glücksbringer zurück in die Tasche.
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Das ist bloß ein altes Schmuckstück, mit dem ich gleich einen ordentlichen Gewinn erzielen werde. Wenn du also bitte einfach an deinen Tisch zurückkehrst …«
»Gewinn? Du willst es verkaufen? In ganz Tyridan gibt es nicht genug Silber für den Wert dessen, was du da hast.«
»Tatsächlich? Hör mal, dieser Salin wird jeden Augenblick kommen, und ich möchte nicht, dass du dann hier bist.«
Die auf unheimliche Weise schlichten Züge des Einsiedlers verzogen sich zu einer überraschten Grimasse. »Salin? Bei den Sieben Gesetzen, Alek Maurer, er darf den Talisman nicht bekommen!«
Alek wollte gerade nach Kraig rufen und ihn auffordern, diesem Wahnsinnigen den Weg zur Tür zu zeigen, als er vermeinte, etwas in Michaels stumpfen, grauen Augen zu erblicken … etwas Drängendes und doch Gefasstes, etwas Verwirrtes
Weitere Kostenlose Bücher