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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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froh, dass niemand abnahm und auch der Anrufbeantworter nicht ansprang.
     
    Ein komisches Gefühl hatte Harry schon, Maja jetzt auf Sylt wiederzusehen. Aber das war schnell verflogen. Sie kam ihm lächelnd, aber auch etwas erstaunt entgegen. Hatte Kieseritzky ihr denn gar nicht erzählt, dass er ihn getroffen hatte?
    »Du hast deine Haare immer noch wie früher«, sagte sie.
    Sie hatte dasselbe Strahlen in den Augen wie damals, inzwischen mit ein paar Falten drum herum. Und sie trug ihre widerspenstigen schwarzen Haare ein Stück kürzer. Nur eines irritierte Harry. Dass sie so braungebrannt war wie all diese Sylter Frauen, die den Sommer in ihren Ferienhäusern in Kampen verbrachten. In dem Winter mit ihm hatte sie damals eine blasse Haut gehabt. Ihr Gesicht war fast weiß gewesen gegen die schwarzen Haare und die vollen dunklen Lippen. Ihr ganzer Körper hatte weiß geleuchtet, wenn sie nachts nach dem Sex nackt über die knarrenden Dielen in der Altbauwohnung im Karolinenviertel lief, um aus der Küche etwas zu trinken zu holen. Auch Harry war in |126| diesem Winter überall weiß gewesen. Sie waren beide kalkweiß und hatten beide zu große Nasen, die sich beim Küssen manchmal in die Quere kamen.
    Kieso hatte Harry nachmittags mit seinem Kutter abgeholt zu einer Party auf Sylt. »Konerding hat eine Klinik in Hamburg und ein dickes Haus in Kampen. Auf seinen Herbstpartys trifft sich zum Abschluss der Saison noch mal die ganze Insel. Meist gibt es auch ein paar Prominente zu begucken, Hajo Friedrichs oder Klaus Schwarzkopf«, hatte Kieseritzky gesagt. »Vor zwei Jahren war Oswalt Kolle da. Echt netter Typ. Das ist nicht so steif wie es klingt. Da werden erst ein paar Bilder verkauft und dann wird gerockt. Und ich schwör’s dir, die Frauen dort stehen auf Künstler.«
    Harry hatte sich gestern dazu überreden lassen, als er betrunken war und zu allem aufgelegt. Heute hatte er eigentlich keine Lust mehr. Vor allem befürchtete er, von Kieseritzky auf die Noldes angesprochen zu werden. Aber die Aussicht auf Sauerfleisch im »Klabautermann« oder einen Abend auf dem Zimmer in der »Nordseeperle« ließen Harry dann doch bereitwillig an Bord der »Elsa« gehen. Reinhard holte ihn mit seinem Fischkutter direkt im Hafen in Steenodde ab.
    »Hier, ’n Kleinen aus der Buddel«, sagte Kieso und hielt ihm einen Flachmann aus Blech mit Hochprozentigem hin.
    »Im Augenblick nicht.« Harry hielt sich an einer Stahlkante in dem engen Steuerhaus fest, um das Schaukeln des Kutters auszugleichen. In der Fahrrinne aus dem Hafen heraus schob das kleine Stahlschiff die |127| Bugwelle noch unbeeindruckt vor sich her. Doch als die »Elsa« für eine Weile aus dem Schatten der Insel herausfuhr, kam das Schiff gewaltig ins Stampfen und Rollen. Harry musste sich wechselseitig abstützen und festhalten, je nachdem, ob sie sich zur Backbordseite neigten oder noch stärker nach Steuerbord.
    Kieseritzky schob seine Mütze in den Nacken und setzte den Flachmann an. »Ich brauch das, bei dem Seegang.« Das klang wie die Ausrede eines Alkoholikers. Aber Käpt’n Kieso hatte offenbar auch Probleme mit dem Seegang.
    »Na, hast’ dich erholt von gestern Nacht?«, fragte er grinsend und schraubte die kleine Flasche wieder zu.
    »Ein komisches Gefühl hab ich schon dabei.«
    »Komm, das war ein Arschloch. Überall, wo der auftauchte, hat es Ärger gegeben.«
    »Vielleicht hätten wir ihn nicht gleich ins Wasser schmeißen müssen.« Harry sagte »wir«. Dabei wussten beide ganz genau, dass Kieseritzky es war, der den Fährmann von der Mole gestoßen hatte.
    »Mein Lieber, damit wärst du ihn nicht los gewesen. Da kannst du mir dankbar sein.« Für einen Moment guckte er richtig ärgerlich. »Ich sag’s dir, der Typ hätte dir noch eine Menge Probleme gemacht.«
    Der Leuchtturm in Hörnum strahlte in der Sonne vor einer dunklen Wolkenformation, die wie ein schwarz-violetter Tuschfleck über den Halligen hing. An den unteren Enden franste die Tusche aus.
    »Siehst du das? Auf Langeneß schüttet es. Aber hallo«, sagte Kieseritzky, die eine Hand am Steuerrad, die andere mit dem Flachmann an einem Griff neben |128| dem Fenster. Reinhard machte hier wieder mächtig einen auf Sailor. Nur, dass er bei diesem Wetter offensichtlich leicht seekrank wurde, passte nicht so recht ins Bild. Harry hatte auf einmal das Gefühl, er hätte nach dem Tod des Fährmanns abreisen sollen. Einfach seine Bilder schnappen und von der Insel abhauen. Aber dafür war es

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