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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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jetzt zu spät.
     
    Die Party fand in einem dieser großen Sylter Friesenhäuser statt, die in den Sechzigerjahren am Rande der Dünen gebaut worden waren, in rotem Backstein unter gewaltigen Reetdächern mit großen geschwungenen Gauben darin, Kampener Stil. Vor dem Haus standen die üblichen Autos, fast dieselben wie vor ein paar Jahren bei Harrys misslungener Vernissage: Mercedes-Sportwagen und nagelneue »Targas«. Aber auch ein wunderschöner alter silberner Porsche und ein M G-Cabrio in englischem Dunkelgrün.
    Die Tür war offen. Die geräumigen Zimmer, die ineinander übergingen, waren voller Menschen. Kieseritzky und Maja begrüßten gleich etliche Leute. Küsschen hier und Küsschen da. Die Gesellschaft war bunt gemischt: Die unvermeidlichen Chefarzttypen, einer hatte tatsächlich grau melierte Haare, die anderen gar keine mehr. Ihre blondierten Frauen mit der in etlichen Sylter Sommern vorzeitig gealterten Haut. Deren biederkesse Töchter mit Perlenohrringen und Söhne mit seidenem Einstecktuch und Poppertolle. Aber es gab auch Mädchen in verrückten Klamotten, eine Blonde, die auf Brigitte Bardot machte, ein paar junge Schreiber mit zerzausten Haaren und Künstler, |129| die in dieser Szene auf den großen Durchbruch hofften.
    Die hellen Räume waren sparsam eingerichtet. Die Möbel waren fast alle weiß, die Ledergarnitur, ein weißes Sideboard mit runden Ecken, Metallleuchten von Arne Jacobsen und weiße Kunststoff-Schalenstühle. Die darin liegenden orangen Kissen waren die einzigen Farbtupfer in den beiden Räumen. Auch bei der Kunst gab es kaum Farben. An den Wänden hing ein Horst Janssen; außerdem ein Rahmen, aus dem sich wie ein Kissen eine weiße elastische runde Form herauswölbte; und eine Nagelplastik von Günther Uecker, einfach Nägel, weiß gestrichen auf einem Brett. Ein ganzes Haus in Schwarz-Weiß.
    Im Hintergrund spielte Herbie Hancock. Ein Mädchen im Zigeunerlook schnippte dazu beiläufig mit den Fingern. Sie stand mitten im Raum und hielt einen Joint in der Hand wie eine ganz normale Zigarette. Auf dem Plexiglastisch vor der kubischen weißen Ledergarnitur stapelten sich Kunstzeitschriften, daneben ein überquellender Aschenbecher, der an einer Ecke dezent vor sich hin kokelte, und eine ganze Batterie halb ausgetrunkener Schampusgläser. Auf Sylt gab es keinen warmen »Söhnlein«. Hier stand in der weißen Küche eine riesige Platte mit Austern aus List, über die sich gerade ein Typ in einem weißen Anzug mit getönter Brille und längeren Haaren hermachte.
    »Na, Jackie, leckere Austern«, begrüßte Kieseritzky ihn.
    »Mann, ich steh voll drauf«, sagte er, wobei sein |130| Gesichtsausdruck auf die getönte Brille und den Dreitagebart reduziert war.
    Dazu gab es Champagner, der zu diesem Zeitpunkt noch richtig kalt war. Oder auch Gin Tonic aus Einwegbechern.
    »Gin Tonic aus Pappbechern, ist das nicht lustig?«, riefeine der blondierten Ladys, die Maja Harry kurz darauf als Dame des Hauses vorstellte.
    Zunächst stand er eine Weile mit Maja zusammen, während Kieseritzky die Runde bei den Leuten machte. Sie aßen Lachsröllchen und schlürften ihre Drinks.
    »Was machst du?«, fragte Maja. »Malst du?«
    »Ja, na ja.« Er nahm aus Verlegenheit einen Schluck aus dem Pappbecher. »Und du?«
    »Auch so: na ja.« Maja strahlte. Dabei waren ihre makellosen Zähne zu sehen. Alle Peinlichkeit war sofort verflogen.
    Sie trug eine weite schwarze Baumwollhose und über einem engen schwarzen Shirt ein Jackett aus demselben Stoff. Sie war dünner geworden. Maja ganz in Schwarz sah gut aus in den weißen Räumen. Sie redeten über die HBF K-Zeiten , über Hamburg und die Leute in Majas WG im Karoviertel.
    Sonderlich wohl hatte Harry sich da nie gefühlt. Von den anderen beiden Mädchen, einer Lehramtsstudentin und einer Krankenschwester, fühlte er sich als spinnerter Künstler belächelt. Aber am schlimmsten war Sven, der Psycho-Pascha. Er studierte tatsächlich Psychologie und gab allen das Gefühl, sie befänden sich in einer Therapiesitzung bei ihm. Wenn Psycho-Sven auf dem Sofa saß, dann immer Arm in Arm mit |131| einem der Mädchen aus der WG oder seiner Freundin, einer eigentlich freundlichen Krankengymnastin, die nicht dort wohnte. Dabei hatte er selbstsicher gegrinst, womit er Harry in Verlegenheit brachte.
    Wusste Maja von den Noldes? Zuerst wirkte es so, als hätte Kieseritzky nicht einmal von ihm erzählt. Und jetzt hatte Harry den Eindruck, dass Maja sogar von den

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