Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
und dann diese komischen Verdrehungen. Herrlich«, riefeine mittelalte Blonde mit Föhnwelle durch den ganzen Raum, obwohl die Hausherrin Helga Konerding direkt neben ihr stand.
    Während das Gypsy-Girl neben ihm auf dem Sofa mit rauchiger Stimme über die Aura des Metalls philosophierte, war Harry mit einem Ohr bei dem Sylt-Tratsch. Kieso, der hier natürlich Boy Jensen hieß und jetzt bei der Hausherrin und ihrer Freundin stand, winkte Harry grinsend heran. In den weißen Räumen neben den beiden Sylter Ladys wirkte Kieseritzky mit seinem Schauermannhemd und der Schiffermütze, die er auf der Party natürlich aufbehielt, noch verkleideter als sonst.
    Von Nahem sahen die beiden Frauen ziemlich verwelkt aus. Die unzähligen »Bloody Marys« im »Gogärtchen« hatten über die Jahre ihre Spuren hinterlassen. Aber bei Helga Konerding war noch zu erkennen, dass sie einmal richtig gut ausgesehen haben musste. In den Sechzigern war sie in Kampen bestimmt der Feger, dachte Harry. Mit ihren Augen wie Romy Schneider.
    |135| »Man hört, Sie sind auch Künstler«, wandte sie sich an Harry.
    »Dann müssen Sie unbedingt mal hier auf der Insel etwas von Ihren Arbeiten zeigen«, fiel ihr die Föhnwelle gleich wieder ins Wort.
    »Was malen Sie denn?«, fragte die Hausherrin. »Doch nicht auch Leuchttürme. Da sind wir ja durch Boy schon bestens versorgt.« Sie lächelte süffisant. »Nein, Boy, ich find das sehr hübsch, was du machst.«
    »Du hast doch schon mal in Keitum ausgestellt«, sagte Kieseritzky.
    Harry ging nicht weiter darauf ein. In seinem Pappbecher war jetzt mehr Gin als Tonic, nachdem Jackie im weißen Anzug mit einer »Gordon’s«-Flasche herumgegangen war.
    Statt Herbie Hancock hatte irgendjemand Neue Deutsche Welle aufgelegt.
    »Ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt«, trällerte einer der gut gelaunten Andy Brehmes. »Und bring die Liebe mit. Von meinem Himmelsritt«, flötete ein Mädchen mit Pudelfrisur und Karottenjeans zurück und machte dabei leichte Tanzbewegungen.
    »Ist ja echt der Hammer, die Mucke«, sagte der Bärtige mit der Pilotenbrille im Vorbeigehen.
    Auf der weißen Ledersitzecke kreiste mittlerweile ein Joint. Das Gypsy-Girl inhalierte und klapperte mit den Ohrringen. Sie reichte den Joint an Harry weiter. Ein anderer Andy Brehme präparierte währenddessen schon die nächste Tüte. Harry konnte sie nur durch die Farbe ihrer Pullover auseinanderhalten. Dieser trug einen postgelben, und für einen Kiffer waren |136| seine Vorbereitungen eine Spur zu pedantisch. Das sah eher danach aus, als wollte er ein Papierflugzeug bauen.
    »Heller Marokkaner«, sagte er mit einstudiertem Kennerblick.
    Helga guckte etwas pikiert, sagte aber nichts. Und die Föhnfrisur, die jetzt Jackie und den grau melierten Chefarzttyp im Tennishemd bequatschte, blieb bei ihren Zigaretten mit Goldfilter.
    »Hallo, Freunde, ich will auch ’nen Zug«, sagte Kieseritzky und legte dabei leutselig den Arm um die neben ihm stehende Jurastudentin mit Perlenkettchen. Der Gin Tonic hatte ihm offensichtlich schon ziemlich zugesetzt. »Schweppes« war inzwischen alle. Jetzt wurde der »Gordon’s« pur aus den Pappbechern getrunken.
    »Na? Was gibt’s denn da zu gucken«, blaffte Kieso den kritisch guckenden Chefarzt an.
    »Scheiße, Reinhard, du bist ja schon wieder hackedicht«, sagte Maja.
    »Is ja gut. Krieg ich nun die Tüte oder was?«
    Gypsy-Girl, die reichlich weggetreten aus ihren schwarz geschminkten Augen guckte, holte den süßlichen Rauch aus den untersten Winkeln ihrer Lunge und blies ihn kraftvoll in die Runde.
    »Warum nennt sie Boy eigentlich Reinhard?«, fragte die blonde Sylterin und schüttelte ihre Föhnwelle.
    An der Terrassentür schwamm jetzt, vom Sturm gegen das Fenster gedrückt, der Regen herunter. Gedanken an seine Rückfahrt nach Amrum, an die Bilder im Kleiderschrank verwarf Harry gleich wieder. Er |137| nahm noch einen Zug aus dem Joint, den Gypsy ihm hinhielt. Dann zündete er sich zur Abwechslung eine seiner »Chesterfields« an.
     
    Irgendwann stand das Zigeunermädchen, das so weggetreten wirkte, als hätte sie noch etwas anderes genommen als Gin und Haschisch, mitten in dem großen Raum.
    »Ich will mich drehen«, verkündete sie laut und trotzdem säuselnd. »Wir brauchen Musik. Aber irgendwas Abgefahrenes. Nicht solch Gedudel.«
    »Du hast absolut recht. Absolut. Nicht wieder diesen Spießerjazz!«, grölte Kieseritzky und verdrehte die Augen unter seinen langen Wimpern. »Wir sind

Weitere Kostenlose Bücher