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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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eigentlich zugegeben.
     
    Ein großer Teil der Partygäste, die Sylter Clique, war schon abgerauscht in ihren N F-Porsches . In der Küche mit den Einbauschränken im blau-weißen Friesenstil hingen die Rauchschwaden. Auf der Arbeitsplatte vor der Mikrowelle saß das Gypsy-Girl mit Pupillen so groß wie LPs. Die Föhnwelle der Blonden war etwas aus der Form geraten. Dezent lallend erklärte sie Jackie, wo es an der Côte d’Azur die beste Bouillabaisse gibt.
    »Ach was, lieber ’ne schöne Seezunge bei Jörg |144| Müller in Westerland«, polterte der Chefarzt dazwischen, der auf der Suche nach einem Korkenzieher war.
    Harry hatte wenig Lust, mit Kieseritzky zu reden. Aber ohne ihn würde er heute Nacht nicht nach Amrum zurückkommen. Er ließ sich von ihm ein Bier reichen und zündete sich die letzte zerbeulte »Chesterfield« an, die er noch in der zerknitterten Packung hatte. Maja guckte kurz in die Küche und machte sofort wieder kehrt.
    »Sag mal, kriegst du deine ›Elsa‹ noch in Gang? Oder bist du zu voll?«, fragte Harry eher unfreundlich.
    »Alter, du hast absolut recht. Wir müssen hier raus aus diesem Spießerladen. Absolut«, lallte Kieso.
    Harry bekam leichte Bedenken. Sonderlich fahrtüchtig wirkte Kieseritzky nicht mehr. Aber mit seinem alten Kutter, das sollte er doch noch hinbekommen.
    »Ja, glotzt nicht so doof. Komm, Jackie, du bist doch auch ’n Spießer in deinem blöden ›Miami-Vice‹-Anzug.«
    »Er meint das nicht so«, sagte Harry.
    Das Zigeunermädchen vor der Mikrowelle setzte ein weggetretenes Lächeln auf. Jackie machte Anstalten, im Stehen einzuschlafen. Er schien zu müde, um einfach wegzugehen. So war er den Bouillabaisse-Geschichten der Föhnwelle hilflos ausgeliefert.
    »Wirklich fantastisch!«, gähnte er immer wieder.
    Gypsy-Girl ließ sich gemächlich von der Arbeitsplatte heruntergleiten. Ein Ohrring hing ihr in den |145| Haaren. Selbst das Klimpern des Metallschmucks klang müder.
    »Oh Lord, bin ich stoned«, sagte sie und schwebte aus der Küche heraus.

11
    Die Wellen waren immer erst im letzten Moment zu sehen. Wenn sie schon da waren. Immer wieder wurde der Kutter auf einen Wellenberg gehoben, um dann mit einem Krachen in den nächsten herannahenden Brecher hineinzustürzen: Guschhh.
    Die Stahlwanten ächzten mit jeder Bewegung des Schiffes. Sturmböen trieben den Regen in heftigen Schauern über das fleckig gestrichene Deck der Berg-und-Tal-fahrenden »Elsa«. Ein Horizont war nicht auszumachen. Meer und Himmel waren eins. Das Wasser war tiefschwarz. Nicht einmal eine hellere Gischt war zu sehen. Der Leuchtturm von Hörnum, der sein Licht über sie hinweg warf, war ganz nah. Nicht so weit entfernt gab es ein anderes Leuchtfeuer. Das musste der gedrungene Turm in den Dünen bei Norddorf sein. Und dann, auch durch die Regenwolken deutlich zu erkennen, die kreisenden Lichtkegel des Wittdüner Leuchtturms, die im Auf und Ab des Bootes über den Himmel schwankten. Die verrosteten Metallbeschläge, die die Wanten in dem Schiffsrumpf hielten, quietschten gegen den Sturm an. Kein Vogelgeschrei, nur das knarzende Metall, das vom Motorengeräusch unterlegte |146| Wimmern der Sturmböen und das Aufschlagen des Kutters auf die Wellen. Guschhh.
    Vielleicht hätten sie diese Nacht doch lieber auf Sylt bleiben sollen. Aber nachdem er ihn gefragt hatte, war Kieseritzky ganz wild darauf, in den Sturm rauszufahren.
    »Übernimm mal das Ruder«, schrie Kieso und stupste einmal lässig den kleinen Metallhebel für das Gas nach vorn. Der Motor tourte etwas niedriger. »Ich muss mal kurz unten nach der Maschine gucken. Einfach nur den Kurs halten.«
    »Wohin denn?« Harry wusste überhaupt nicht, woran er sich orientieren sollte.
    »Meine Güte, einfach Steuer festhalten.« Reinhard grinste mitleidig und verschwand für eine Weile in dem kleinen Niedergang nach unten.
    Die offene Holztür wurde durch den Sturm immer wieder gegen den Rahmen geschlagen. Aus dem Inneren der »Elsa« drang ein metallenes, leicht rachitisches Tuckern nach draußen. Ganz gesund klang das nicht. Immer wenn die Tür zum Unterdeck weiter aufschlug, wurde das Geräusch lauter.
    Harry stierte gebannt durch die kleinen Scheiben des engen Steuerhauses, als könnte er irgendetwas erkennen. Nicht einmal der Bug der »Elsa« war richtig zu sehen, nur auf dem Deck vor ihm allerlei Krempel. Taue, ein Plastikeimer und Rettungsringe, über die ab und zu eine Gischt spritzte. Der Wind peitschte riesige Regentropfen gegen die

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